Mittwoch, 31. Dezember 2014

Die Hengstberg-Challenge - (k)ein Kinderspiel!

Eine kleine, irgendwie wehmütige Nachbetrachtung zu einem - ja, wie soll man das eigentlich nennen? - Vorgang? - Ereignis? - Phänomen?, das sich im Laufe des Jahres 2014, genau genommen zwischen dem 8.12.2013 und dem 07.12.2014 (denn so merkwürdig fällt das Hengstberg-Challenge-Jahr!) in den Wäldern östlich von Göttingen vollzog:

Die "1. Hengstberg-Challenge" (im Folgenden kurz: "HBC")

der Berg der Berge
Es fängt damit an, dass ich nichts Genaues zur Entstehungsgeschichte der HBC sagen kann. Auf einmal war sie da, und jeder und jede LäuferIn in Gö und Umgebung redete darüber. Der Hengstberg ist ein recht markanter, gut 400m hoher Hügel östlich des Steilabfalls des Göttinger Waldes, ein "Zeugenberg" im geographischen Sprachgebrauch, der davon zeugt, dass die Muschelkalkfläche, die den Göttinger Wald bildet, früher weiter nach Osten reichte und auch den heutigen Hengstberg umfasste. Aber dieser Umstand war nun gewiss nicht der Grund für das Ausrufen der HBC. Nein, das lag schon eher daran, dass dort oben ein rustikales Gipfelkreuz samt Gipfelbuch von der DAV-Sektion des nahegelegenen Dörfchens Potzwenden errichtet wurde. Und damit die Voraussetzung gegeben ist, Besteigungen für die Nachwelt dokumentieren zu können. Die HBC besteht also darin, im Verlauf dieses merkwürdigen HBC-Jahres möglichst oft den Berg zu erklimmen und sich jeweils ins Gipfelbuch einzutragen.

Nur knapp 2km westlich des Berges führt eine Landstraße vorbei, die über einen überaus praktisch gelegenen Wanderparkplatz verfügt. Von dort aus wäre die Besteigung in weit unter 5km Strecke und mit nur ca. 120 Höhenmetern möglich und damit natürlich ein Kinderspiel. Nein, so etwas sollte es nicht sein (oder eigentlich eben doch?), und es entsteht, wiederum etwas nebulös wie die HBC selbst, ein Regelwerk, das im Kern besagt, dass nur Besteigungen, die vom Göttinger Stadtgebiet aus starten, in die Wertung kommen können. Damit sind das Kehr (Startpunkt der Brocken-Challenge), Geismar oder Herberhausen die nächstgelegenen Startpunkte. Insbesondere Bewohner von Herberhausen genießen den Vorteil, in nur ca. 16km und mit nur ??? aufsteigenden hm eine zählende Besteigung absolvieren zu können. Für alle anderen heißt es stets: Allermindestens sind 18km und ca. 450hm zu bewältigen. Gut, damit begnügen sich die meisten Teilnehmer dann nur im Notfall, und gängige HBC-Läufe haben mehr als 23km und ca. 600hm aufzuweisen. Also nichts für jeden Tag. Sondern höchstens für jeden zweiten.

Die Gipfelbuch-Einträge landen häufig, noch ehe die Tinte richtig trocken ist, auf den entsprechenden facebook-Seiten. Mit den Wochen und Monaten, die ins Land gehen, wird die Sprache dabei (genau wie die Landschaft) immer blumiger. Das liegt manchmal vielleicht auch an dem obligatorischen Gipfel-Schnaps. Im 1. HBC-Jahr folgt Gin auf Grappa und Kräuterlikör. Es werden die Auf- und Abstiegsrouten und besondere Vorkommnisse geschildert. Da ist aber nicht einfach von West- oder Osthang, sondern von "Lhotse-" und "Diamir-Flanke" die Rede. Gelegentlich herrscht extreme "Lawinengefahr" und manch einer schwört, die Tour kein zweites Mal ohne künstlichen Sauerstoff zu wagen. Später sammeln sich außerdem Energie-Riegel, Weihnachtsmänner und andere Notrationen in der Schatulle des Gipfelbuchs an. Man überlegt, die morsche Gartenbank durch eine anständige Schutzhütte zu ersetzen und die Gipfelhöhe durch Aufbringen von Kalkschutt nach und nach weiter zu erhöhen. Im Spätsommer ergeht eine recht folgenschwere Beschwerde eines Mitstreiters, dass man die Aufstiege doch bitte mal von den Spinnweben und dem aufkommenden Jungwuchs befreien möge. Spätestens damit entbrennt die große finale Herbst-Rallye, in der erbittert um die Ränge gekämpft wird und sich ein Damen-Team in der letzten Wertungswoche noch geschlagene 5 Mal erfolgreich auf den Weg macht (auch wenn der Verdacht naheliegt, dass abschnittsweise Support durch den kräftig ziehenden Hund erfolgte - eine zukünftig noch zu schließende Lücke im Regelwerk).

Nur recht selten mischen sich Einträge von Wanderern zwischen die HBC-Notizen. Das liegt natürlich daran, dass der Gipfel trotz aller Bemühungen nicht wirklich bewirtschaftet ist, (besonders im Sommer) nur mäßige Aussicht bietet und vor allem nur über steile, meist matschige, zeckenverseuchte Pfade zu erreichen ist. Hier müssen wir noch einmal kurz auf die geologischen Verhältnisse zurückkommen: Wehe dem, der nichts vom Übergang des Unteren Muschelkalks (eher griffig) zum Oberen Buntsandstein (Röt-Tone) knapp oberhalb des Wandfusses weiß! Der donnert mit hoher Wahrscheinlichkeit wohlgemut den Steilhang der Lhotse-Flanke hinunter und landet dann ziemlich sicher einigermaßen glimpflich im Buchen-Jungwuchs, nachdem er die Haftung und/oder den Boden unter den Füßen verloren hat.

Oft, wenn wir im Herbst bei Regen und Wind im Dunklen da hoch sind, haben wir uns unterwegs gefragt: Warum machen wir das? Wie soll man das einem "normalen" Menschen erklären? Die Antwort darauf ist am Ende wahrscheinlich ganz einfach: Es gibt keinen Grund, außer dass es Spaß macht. Und irgendwie kindisch ist. Wir alle wollen gerne zwischendurch auch mal wieder spielen dürfen, sinnbefreit rumfantasieren, etwas tun, ohne dass dieses Tun wie sonst üblich einem Ziel oder Zweck folgt (außer, man startet eine ausgewachsene Such-Expedition nach einer zuvor von einem Konkurrenten (="Mit-Läufer") verlorenen Stirnlampe). Es macht Spaß, den Jahresgang der Natur auf der immer gleichen Strecke zu verfolgen. Was für ein Jahr! Gänseblümchen im Januar, Storchenschnabel im Dezember! Der dicke Ast lag vorgestern doch noch nicht da!? - Es macht Spaß, die wilden Rutsch-Spuren der letzten Vorkämpfer zu sehen und sich vorzustellen, wie sie geflucht haben. Es macht Spaß,"unangemeldet" hochzurennen und zu hoffen, mal der erste an diesem Tag zu sein, vielleicht legt man sogar die erste Spur in den Neuschnee, und man freut sich schon, weil es tatsächlich so ist, und wenn man dann am Gipfel ankommt, schnauft von der anderen Seite gerade ein anderer hoch.

Eigentlich hatte ich noch eine große Datenauswertung zur 1. HBC geplant. Leider konnten oder wollten nicht alle Beteiligten die erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Mich hätte z.B. interessiert, an welchem Tag die meisten Leute oben waren oder wann die längste Periode ohne Besteigung war, etc. So wissen wir nur, dass sich an der 1. HBC offiziell 18 Menschen und 1 Hund durch Eintrag ins Gipfelbuch unsterblich gemacht haben (noch ein ungeschriebener Paragraph aus dem Regelwerk: Die Mindest-Besteigungszahl, um in die Wertung zu kommen, beträgt 2!). Die Gesamtzahl der Gipfelbucheinträge beläuft sich letztlich auf 254, was im Schnitt gut 13 Besteigungen pro TeilnehmerIn bedeutet. Die Streuung liegt dabei zwischen 40 und 2. Am 07.12.2014, dem letzten Wertungstag der 1. HBC, waren alle Teilnehmer bis auf 3 auf dem Gipfel versammelt!



Ich gehe jede Wette ein, dass die 2. HBC neue Teilnehmer- und Besteigungsrekorde erbringen wird. Ganz dringend muss ein neues Gipfelbuch raufgeschafft werden! Aber kann die 2. HBC jemals wieder wie die 1. sein?



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