Montag, 26. Mai 2014

Elm Super Trail



72km Elm Super Trail 2014 - Antworten auf Fragen, die man nicht gestellt hat

Ich war (entgegen anders lautender Gerüchte) ewig nicht so weit gelaufen wie beim Elm Trail vorgesehen (die BC lassen wir mal außen vor, tatsächlich bin ich die im engeren Sinne auch noch nie gelaufen). Genauer gesagt: seit Biel 2012! Entsprechend groß und authentisch war auch mein Respekt vor der 72km-Distanz. Für mich keineswegs ein Selbst-Läufer. Hinzu kam, dass der Ver­lauf dieses Rennens (nicht unbedingt das Ergebnis) als Orientierung für den diesjährigen Start in Biel herhalten sollte. Sanna's letzter Lauf weiter als 20k datierte noch aus 2013, und so stellte die 25k-Strecke auch für sie eine ernstzunehmende Aufgabe dar.

Wir rollten also innerlich einigermaßen (an)gespannt Richtung norddeutscher Bergland­schwelle bzw. Börde. Wir waren in Göttingen zeitig los, wunderten uns über die sich im Süden aufbauende Gewitterfront, wo doch absolute Niederschlagsfreiheit angekündigt war, konnten sie aber während der ganzen Fahrt im pfeilschnellen Astra noch auf gebührendem Abstand halten. Bei Salzgitter hatte sie den Brocken bereits eingenommen, und unser Kaffee­trinken am absolut idyllisch gelegenen Watzumer Häuschen am Elm, wo morgen VP9 bei km47 aufgebaut sein würde, fand leider bereits ohne Sonnenschein statt. In welcher Verfassung würde ich hier morgen ankommen? Ich hatte jetzt schon mehr als Respekt vor dem Abschnitt, der sich über mehrere km wahrscheinlich recht schatten­los zur wärmsten Tageszeit vom tiefsten Streckenpunkt nach der Marathon-Distanz hier wieder hinauf ziehen würde.

Wenig später an der Burg Warberg angekommen, ließen die ersten Tropfen und dann eine ausge­wachsene einstündige Schüttung nicht lange auf sich warten. Das Regenradar zeigte: Definitiv der einzige Niederschlag deutschlandweit! Mal wieder zu früh gefreut - jedenfalls auf ein entspanntes Campen auf einer trockenen Wiese. Natürlich war nach dem Guß auch die Wärme weg, und so verkrochen wir uns recht zeitig in die Schlafsäcke. Das Zelten an der Burg ist ansonsten sehr zu empfehlen: absolut eben und steinfrei, sattes Gras, völlige Ruhe (wenn nicht wie diesmal 3 Hoch­zeits­feiern parallel auf der Burg stattfinden), jedenfalls bis 3:10h, als der erste Hahn anfing, uns darüber zu informieren, dass es bald hell werden würde. Was er nicht wusste: Ich war schon wach, ziemlich schweißgebadet dazu, schockartig hoch­geschreckt aus dem unvermeidlichen "ich-komme-zu-spät-zum-Start"-Alptraum, der hier (100m vom recht späten Start um 9h entfernt) mehr als über­flüssig war. Nach und nach treffen die Läufer ein, viel Hallo und dumme Sprüche wie gewohnt, alle wollen nur locker traben wie gewohnt, nein, kein Rennen! - oder sind eigentlich sowieso verletzt oder nicht im Training. Das gehört dazu. Alle wissen, dass es dann anders kommt.

Das Wichtigste aber: Blauer Himmel (wie versprochen)! Es blieb nur die Frage, wie die Strecke die gestrige Schüttung verkraftet haben würde, ob es schmierig werden würde. Die Ortskundigen halten das für wenig wahrscheinlich, "alles eher sandig". So war es auch tatsächlich, und bis auf km69-71 wurde es nie rutschig. Insgesamt sah ich - später dann unterwegs - im Wässern der Strecke am Vortag den großen Vorteil, es nicht zusätzlich zur Hitze auch noch mit Staub zu tun zu bekommen. Die Brooks Pure Connect ("Straßen­rennschuhe") waren somit wie schon zuletzt beim Röntgenlauf, Bilstein und der Harzquerung die richtige Wahl: kein Gramm zu viel an den Füßen.

Die Phase der bekannten pre-race-Entscheidungen stand an: Welche Schuhe (ach nein, erledigt!), welche Klamotten (so wenig wie möglich), Rucksack? Hmm, bei einem maximalen Abstand von 7.1k zwischen den 14 (!) VPs auf den 72km "wagte" ich, ihn liegen zu lassen. 4 Vega-Gels, 4 Salz­kapseln und 4 Blatt Klopapier, das war alles außer mir selbst, womit ich an den Start ging. Alles (außer mir selbst) wurde dann auch verbraucht, aber es entstand trotz­dem kein Mangel (na, ein Gel mehr hätte nicht geschadet). Also ein diesbzgl. sehr einfacher Ultra ohne großartige Material­schlacht.

Im Burghof erhalten wir nette Grußworte mit auf die Strecke, vor dem Burgtor auf der Brücke geht es zur Fanfare eines veritablen Ritters endlich los. Schon nach 300m auf einem fuß­breiten Trail schön im Gänsemarsch bergauf dem Waldrand entgegen - aber wir wollen ja alle sowieso nicht schnell sein. Überhaupt - mich hat der Trail-Anteil positiv überrascht. Nicht selten, wenn man nach Streckenkarte davon ausgehen könnte, dass die Route vor allem an den endlosen Elm-Waldrändern auf Wirtschaftswegen oder einigen Straßen entlang führen würde, verläuft der Weg 5 oder 10m daneben auf klassischen, gewundenen single trails, wunderbar weich, für Leute über 180cm mit häufigen Verbeugungen vor den tiefhängenden Buchen­zweigen verbunden. Verlaufen ist übrigens absolut unmöglich, erstklassige Boden­mark­ierungen über die gesamten 72km!

Wir rollen dahin. Ja, es ist ein Rollen über die sanften Wellen am nordöstlichen Waldrand entlang Richtung Königslutter. Nach Norden und Osten ungehinderte Fernsicht bei klarster Luft. Ein spannender Wechsel zwischen Kühle, die noch aus dem Wald strömt, und Wärme, die schon aus den Feldern emporweht, sich oft auf kleinstem Raum verwirbelt, manchmal gar in der Mundhöhle bei einem tiefen Atemzug. Blick zur Uhr: kumulative Pace 5:20 bei 8k. OMG, geht das schon wieder los? Aber es geht so leicht - man atmet kaum. Alle ASFM'ler noch auf Sichtweite ver­sammelt. 10k - pace 5:15. Kein Kommentar.

Wir rollen runter nach Königs­lutter. Ich laufe neben Jan, Jan läuft neben mir. Nicht viele Worte, eigentlich gar keine. Kein Zwang, etwas sagen zu müssen. Das ist angenehm. Schließlich dann doch: "Ich brauche gerade 50% meiner Energie für die Kontrolle meines Schließmuskels!" - "Das wollte ich auch gerade sagen!" - Mit Mühe schaffen wir es noch durch Königslutter, dann springen 2 dudes im Abstand von 200m in die Büsche und treffen sich sekundengenau wieder auf der Strecke. Unglaubliches Timing. - Roll on. - Roll up, to Diana's Ruh bei km20 zurück hinauf in den kühlen feuchten Wald. Steigungen können willkommen sein!

Mein rechter Fuß muckt außen unter dem Knöchel. Kenn ich schon, macht nichts, wird wieder aufhören. Sonnig kurzweilig bergab nach Destedt an der Nordwest-Ecke des Elm. Dort ist bei 25k der 2. Staffel-Wechsel für die 7er-72k-Staffel. Uns hat noch keine überholt, sie sind aber auch 30min nach uns gestartet. Bis km30 folgt jetzt ein Streckenabschnitt, der irgendwie nicht passt, aber für mich nicht wenig Charme hat: Entlang einer Landstrasse geht es auf dem Radweg durch die Prärie des Elm-Vorlandes. Erinnerungen an den Deutschland-Lauf 2010 werden wach, wo man in diesem Stil tagelang unterwegs war. Es geht vorbei, egal wie lang die Geraden scheinen. Frontal vor uns die ganze Zeit der wolkenlose Brocken. Es ist so klar, dass selbst ich mit meiner seit 14 Jahren nicht mehr korrigierten Brille noch die Gipfel­bauten ausmachen kann. Wir überholen die ersten Läufer. 28km - pace 5:12. Es ist 11:25h. "Jetzt starten gleich die Ladies!" - "Hab' ich auch gerade dran gedacht!"

Über das Eilumer Horn, den höchsten Streckenpunkt, an dem wir im Anstieg 2 Run&Bike­-Teams hinter uns lassen, geht es durch Kneitlingen, wo die Bevölkerung auf dem Weg zur Wahlstelle etwas distanziert die Ultras beäugt, wieder hinaus in die Prärie nach Schöppen­stedt. Hier ist es nicht mehr nur warm, hier ist es schon eher heiss, und zum ersten Mal bin ich richtig froh, diese km nicht alleine laufen zu müssen. Es ist unklar, wer hier die pace vorgibt. Wahrscheinlich ist es mal Jan, mal ich. Es passt auf jeden Fall phänomenal. Wir laufen hunderte Meter im absoluten Gleichschritt. Dieser Rhythmus macht was mit einem, hier weiss ich allerdings noch nicht - was?

Der Marathon im pace 5:12 liegt hinter uns, der anstrengendere Teil, auch was die Höhen­meter angeht, wohl noch vor uns. Wir sind auf dem Abschnitt, über den ich gestern bei der Kaffeepause bereits reflektiert habe. Ich bin überrascht, wie leicht es geht. Wir nehmen die leichte Steigung an, wir atmen kaum mehr als bergab, wir kämpfen nicht mit dem Weg. Trotzdem nähern wir uns immer wieder Läufern vor uns. Wir ziehen vorbei. Nichts motiviert mehr, als ohne zu beschleunigen vorbeizuziehen. Knappe Grüße, macht's gut! Viel schneller als gedacht sind wir am Watzumer Häuschen - ich krieg jetzt langsam Angst vor meinem Zustand. Bloß nicht in Euphorie ausbrechen, das darf ich mir frühestens bei km68 erlauben!

Rummss! 3m hinter mir rollt Jan locker ab. Aus dem Trail stechen zwischen Gras und Laub einige fiese, dünne Baumstumpen hervor, die ich wohl nur zufällig nicht erwischt habe. Guten Morgen! Wach bleiben! Nix passiert. Jan: "Ich bin heute ja auch seit 3 Uhr wach, nach meinem obliga­torischen 'ich-verpasse-den-Start'-Traum!" - Der Leser ahnt bzw. kennt bereits die Antwort.

Bei km50 schaue ich zufällig auf die Uhr: 4:25h, pace 5:18. Juchhu, beide Fäuste in den Himmel. - Und dann kommt das, was jeder, der schon ein paar lange Läufe gemacht hat, bei sich oder anderen schon erlebt hat: Alles ändert sich - ganz schnell. Jan fällt unvermittelt (naja, nicht ganz…) in den Schritt und sagt, ich solle mal weiter. Mach ich auch, ohne viel zu überlegen. Ich drehe mich nicht um. Nach ein paar hundert Metern hat sich meine Atmung stark beschleunigt, bin ich schneller ge­worden? Nein, im Gegenteil. Also was ist los? - Es ist ganz einfach: der Taktgeber fehlt! Der Antreiber, der Bremser. Auch auf den nächsten km merke ich, wie viel einfacher das Laufen zu zweit war, bei dem sich offenbar Energien verbanden - eine völlig unerwartete und bereich­ernde Erfahrung, für die allein sich der ganze Lauf schon gelohnt hat.

Frank R. taucht vor mir auf. Huch!? Wir laufen einige hundert Meter zusammen, dann schickt auch er mich weiter. Hinter VP12 geht es weiter bergauf, pace 5:24 gesamt, trotzdem fällt bergauflaufen heute immer noch leichter als bergab, sieht man mal davon ab, dass beides mittlerweile zu anstren­gend geworden ist und man nur noch stehen bleiben und sich hinlegen möchte. - Ein weißes Trikot, ein Tape unterhalb des linken Knies - das ist Michael W. Schon wieder: Huch!! Diese beiden Läufer kommen woanders Stunde(n) vor mir ins Ziel. Weiter, weiter, irgendwann muss es ja nun doch wirklich mal endlich runter nach Schöningen gehen.

Es tut weh auf dem Asphalt hinunter in das Städtchen, und das Schlimmste ist: es ist eine Art Wende­schleife und man muss gleich den selben Weg wieder hinauf. Als ich den VP nach der Ehrenrunde auf dem Schlosshof bei km65, pace 5:26, durch das Tor wieder verlasse, laufen gerade Jan und Frank rein. Das freut mich sehr und ich überlege kurz, einfach so lange zu gehen, bis sie mich eingeholt haben. Aber so "weit" bin ich noch nicht, ich laufe weiter, den ganzen finalen Anstieg bis km 68 zwar langsam, aber immerhin durch. Ein weiterer Staffelläufer überholt mich und zollt Respekt. Es geht zum letzten Mal kilometerlang über diesmal recht rutschige Trails, bis man denjenigen Punkt am Waldrand erreicht hat, an dem man ihn vor 6,5 Stunden erstmals berührte. The circle has been closed! Der Elm ist umrundet. Zieleinlauf im Burghof, Medaille um den Hals. Stuhl - Erdinger - lasst mich erstmal in Ruhe. Jan ist knapp 6min nach mir da und ich hänge ihm seine Medaille um. "War geil, Mann!"