72km Elm Super Trail 2014 - Antworten auf Fragen, die man nicht gestellt hat
Ich war (entgegen anders lautender Gerüchte) ewig nicht so
weit gelaufen wie beim Elm Trail vorgesehen (die BC lassen wir mal außen vor,
tatsächlich bin ich die im engeren Sinne auch noch nie gelaufen). Genauer gesagt: seit Biel 2012! Entsprechend groß und
authentisch war auch mein Respekt vor der 72km-Distanz. Für mich keineswegs ein
Selbst-Läufer. Hinzu kam, dass der Verlauf dieses Rennens (nicht unbedingt das
Ergebnis) als Orientierung für den diesjährigen Start in Biel herhalten sollte.
Sanna's letzter Lauf weiter als 20k datierte noch aus 2013, und so stellte die
25k-Strecke auch für sie eine ernstzunehmende Aufgabe dar.
Wir rollten also innerlich einigermaßen (an)gespannt Richtung
norddeutscher Berglandschwelle bzw. Börde. Wir waren in Göttingen zeitig los,
wunderten uns über die sich im Süden aufbauende Gewitterfront, wo doch absolute
Niederschlagsfreiheit angekündigt war, konnten sie aber während der ganzen
Fahrt im pfeilschnellen Astra noch auf gebührendem Abstand halten. Bei
Salzgitter hatte sie den Brocken bereits eingenommen, und unser Kaffeetrinken
am absolut idyllisch gelegenen Watzumer Häuschen am Elm, wo morgen VP9 bei km47
aufgebaut sein würde, fand leider bereits ohne Sonnenschein statt. In welcher
Verfassung würde ich hier morgen ankommen? Ich hatte jetzt schon mehr als
Respekt vor dem Abschnitt, der sich über mehrere km wahrscheinlich recht
schattenlos zur wärmsten Tageszeit vom tiefsten Streckenpunkt nach der Marathon-Distanz
hier wieder hinauf ziehen würde.
Wenig später an der Burg Warberg angekommen, ließen die ersten Tropfen und dann eine ausgewachsene einstündige Schüttung nicht lange auf sich warten. Das Regenradar zeigte: Definitiv der einzige Niederschlag deutschlandweit! Mal wieder zu früh gefreut - jedenfalls auf ein entspanntes Campen auf einer trockenen Wiese. Natürlich war nach dem Guß auch die Wärme weg, und so verkrochen wir uns recht zeitig in die Schlafsäcke. Das Zelten an der Burg ist ansonsten sehr zu empfehlen: absolut eben und steinfrei, sattes Gras, völlige Ruhe (wenn nicht wie diesmal 3 Hochzeitsfeiern parallel auf der Burg stattfinden), jedenfalls bis 3:10h, als der erste Hahn anfing, uns darüber zu informieren, dass es bald hell werden würde. Was er nicht wusste: Ich war schon wach, ziemlich schweißgebadet dazu, schockartig hochgeschreckt aus dem unvermeidlichen "ich-komme-zu-spät-zum-Start"-Alptraum, der hier (100m vom recht späten Start um 9h entfernt) mehr als überflüssig war. Nach und nach treffen die Läufer ein, viel Hallo und dumme Sprüche wie gewohnt, alle wollen nur locker traben wie gewohnt, nein, kein Rennen! - oder sind eigentlich sowieso verletzt oder nicht im Training. Das gehört dazu. Alle wissen, dass es dann anders kommt.
Das Wichtigste aber: Blauer Himmel (wie versprochen)! Es blieb nur die Frage, wie die Strecke die gestrige Schüttung verkraftet haben würde, ob es schmierig werden würde. Die Ortskundigen halten das für wenig wahrscheinlich, "alles eher sandig". So war es auch tatsächlich, und bis auf km69-71 wurde es nie rutschig. Insgesamt sah ich - später dann unterwegs - im Wässern der Strecke am Vortag den großen Vorteil, es nicht zusätzlich zur Hitze auch noch mit Staub zu tun zu bekommen. Die Brooks Pure Connect ("Straßenrennschuhe") waren somit wie schon zuletzt beim Röntgenlauf, Bilstein und der Harzquerung die richtige Wahl: kein Gramm zu viel an den Füßen.
Die Phase der bekannten pre-race-Entscheidungen stand an: Welche Schuhe (ach nein, erledigt!), welche Klamotten (so wenig wie möglich), Rucksack? Hmm, bei einem maximalen Abstand von 7.1k zwischen den 14 (!) VPs auf den 72km "wagte" ich, ihn liegen zu lassen. 4 Vega-Gels, 4 Salzkapseln und 4 Blatt Klopapier, das war alles außer mir selbst, womit ich an den Start ging. Alles (außer mir selbst) wurde dann auch verbraucht, aber es entstand trotzdem kein Mangel (na, ein Gel mehr hätte nicht geschadet). Also ein diesbzgl. sehr einfacher Ultra ohne großartige Materialschlacht.
Im Burghof erhalten wir nette Grußworte mit auf die Strecke, vor dem Burgtor auf der Brücke geht es zur Fanfare eines veritablen Ritters endlich los. Schon nach 300m auf einem fußbreiten Trail schön im Gänsemarsch bergauf dem Waldrand entgegen - aber wir wollen ja alle sowieso nicht schnell sein. Überhaupt - mich hat der Trail-Anteil positiv überrascht. Nicht selten, wenn man nach Streckenkarte davon ausgehen könnte, dass die Route vor allem an den endlosen Elm-Waldrändern auf Wirtschaftswegen oder einigen Straßen entlang führen würde, verläuft der Weg 5 oder 10m daneben auf klassischen, gewundenen single trails, wunderbar weich, für Leute über 180cm mit häufigen Verbeugungen vor den tiefhängenden Buchenzweigen verbunden. Verlaufen ist übrigens absolut unmöglich, erstklassige Bodenmarkierungen über die gesamten 72km!
Wir rollen dahin. Ja, es ist ein Rollen über die sanften
Wellen am nordöstlichen Waldrand entlang Richtung Königslutter. Nach Norden und
Osten ungehinderte Fernsicht bei klarster Luft. Ein spannender Wechsel zwischen
Kühle, die noch aus dem Wald strömt, und Wärme, die schon aus den Feldern
emporweht, sich oft auf kleinstem Raum verwirbelt, manchmal gar in der
Mundhöhle bei einem tiefen Atemzug. Blick zur Uhr: kumulative Pace 5:20 bei 8k.
OMG, geht das schon wieder los? Aber es geht so leicht - man atmet kaum. Alle
ASFM'ler noch auf Sichtweite versammelt. 10k - pace 5:15. Kein Kommentar.
Wir rollen runter nach Königslutter. Ich laufe neben Jan,
Jan läuft neben mir. Nicht viele Worte, eigentlich gar keine. Kein Zwang, etwas
sagen zu müssen. Das ist angenehm. Schließlich dann doch: "Ich brauche
gerade 50% meiner Energie für die Kontrolle meines Schließmuskels!" -
"Das wollte ich auch gerade sagen!" - Mit Mühe schaffen wir es noch
durch Königslutter, dann springen 2 dudes
im Abstand von 200m in die Büsche und treffen sich sekundengenau wieder auf der
Strecke. Unglaubliches Timing. - Roll on. - Roll up, to Diana's Ruh bei km20
zurück hinauf in den kühlen feuchten Wald. Steigungen können willkommen sein!
Mein rechter Fuß muckt außen unter dem Knöchel. Kenn ich
schon, macht nichts, wird wieder aufhören. Sonnig kurzweilig bergab nach
Destedt an der Nordwest-Ecke des Elm. Dort ist bei 25k der 2. Staffel-Wechsel
für die 7er-72k-Staffel. Uns hat noch keine überholt, sie sind aber auch 30min
nach uns gestartet. Bis km30 folgt jetzt ein Streckenabschnitt, der irgendwie
nicht passt, aber für mich nicht wenig Charme hat: Entlang einer Landstrasse
geht es auf dem Radweg durch die Prärie des Elm-Vorlandes. Erinnerungen an den
Deutschland-Lauf 2010 werden wach, wo man in diesem Stil tagelang unterwegs
war. Es geht vorbei, egal wie lang die Geraden scheinen. Frontal vor uns die
ganze Zeit der wolkenlose Brocken. Es ist so klar, dass selbst ich mit meiner
seit 14 Jahren nicht mehr korrigierten Brille noch die Gipfelbauten ausmachen kann.
Wir überholen die ersten Läufer. 28km - pace 5:12. Es ist 11:25h. "Jetzt starten gleich
die Ladies!" - "Hab' ich auch gerade dran gedacht!"
Über das Eilumer Horn, den höchsten Streckenpunkt, an dem
wir im Anstieg 2 Run&Bike-Teams hinter uns lassen, geht es durch
Kneitlingen, wo die Bevölkerung auf dem Weg zur Wahlstelle etwas distanziert
die Ultras beäugt, wieder hinaus in die Prärie nach Schöppenstedt. Hier ist es
nicht mehr nur warm, hier ist es schon eher heiss, und zum ersten Mal bin ich
richtig froh, diese km nicht alleine laufen zu müssen. Es ist unklar, wer hier
die pace vorgibt. Wahrscheinlich ist es mal Jan, mal ich. Es passt auf jeden
Fall phänomenal. Wir laufen hunderte Meter im absoluten Gleichschritt. Dieser
Rhythmus macht was mit einem, hier weiss ich allerdings noch nicht - was?
Der Marathon im pace 5:12 liegt hinter uns, der
anstrengendere Teil, auch was die Höhenmeter angeht, wohl noch vor uns. Wir
sind auf dem Abschnitt, über den ich gestern bei der Kaffeepause bereits
reflektiert habe. Ich bin überrascht, wie leicht es geht. Wir nehmen die
leichte Steigung an, wir atmen kaum mehr als bergab, wir kämpfen nicht mit dem
Weg. Trotzdem nähern wir uns immer wieder Läufern vor uns. Wir ziehen vorbei. Nichts
motiviert mehr, als ohne zu beschleunigen vorbeizuziehen. Knappe Grüße, macht's
gut! Viel schneller als gedacht sind wir am Watzumer Häuschen - ich krieg jetzt
langsam Angst vor meinem Zustand. Bloß nicht in Euphorie ausbrechen, das darf
ich mir frühestens bei km68 erlauben!
Rummss! 3m hinter mir rollt Jan locker ab. Aus dem Trail
stechen zwischen Gras und Laub einige fiese, dünne Baumstumpen hervor, die ich
wohl nur zufällig nicht erwischt habe. Guten Morgen! Wach bleiben!
Nix passiert. Jan: "Ich bin heute ja auch seit 3 Uhr wach, nach meinem obligatorischen
'ich-verpasse-den-Start'-Traum!" - Der Leser ahnt bzw. kennt bereits die
Antwort.
Bei km50 schaue ich zufällig auf die Uhr: 4:25h, pace 5:18.
Juchhu, beide Fäuste in den Himmel. - Und dann kommt das, was jeder, der schon
ein paar lange Läufe gemacht hat, bei sich oder anderen schon erlebt hat: Alles
ändert sich - ganz schnell. Jan fällt unvermittelt (naja, nicht ganz…) in den
Schritt und sagt, ich solle mal weiter. Mach ich auch, ohne viel zu überlegen.
Ich drehe mich nicht um. Nach ein paar hundert Metern hat sich meine Atmung
stark beschleunigt, bin ich schneller geworden? Nein, im Gegenteil. Also was ist los?
- Es ist ganz einfach: der Taktgeber fehlt! Der Antreiber, der Bremser.
Auch auf den nächsten km merke ich, wie viel einfacher das Laufen zu zweit war, bei dem sich offenbar Energien verbanden
- eine völlig unerwartete und bereichernde Erfahrung, für die allein sich der
ganze Lauf schon gelohnt hat.
Frank R. taucht vor mir auf. Huch!? Wir laufen einige
hundert Meter zusammen, dann schickt auch er mich weiter. Hinter VP12 geht es
weiter bergauf, pace 5:24 gesamt, trotzdem fällt bergauflaufen heute immer noch
leichter als bergab, sieht man mal davon ab, dass beides mittlerweile zu
anstrengend geworden ist und man nur noch stehen bleiben und sich hinlegen möchte.
- Ein weißes Trikot, ein Tape unterhalb des linken Knies - das ist Michael W.
Schon wieder: Huch!! Diese beiden Läufer kommen woanders Stunde(n) vor mir ins
Ziel. Weiter, weiter, irgendwann muss es ja nun doch wirklich mal endlich
runter nach Schöningen gehen.