Sonntag, 3. Juli 2016

ThüringenUltra 2016 - Was hat die Zeit mit uns gemacht?

Drei "Laufberichte" zum selben Event? Gab's noch nie, muss aber sein.
(eher technische Details für tU-Ahnungslose gibt es in Episode I und Episode II)

Schon 300m vor dem VP95 (der dieses Jahr eher bei km97 stand, weil wohl Holzfäller hinter Sondra am machen waren und uns Gunter später noch etwas mehr von dem glatten Asphalt der alten Bahnstrecke runter nach Floh-Seligenthal gönnen wollte - durch diesen tiefen schluchtartigen Einschnitt mit der verwegenen Brücke drüber [können wir da nächstes Jahr nicht vorher auch noch drüberlaufen?]) wummerten die Bässe zum Intro meines Wunschliedes los. Es war ein so unglaublich perfektes Timing: Exakt zum ersten Refrain erreichte ich die hübschesten Damen Thüringens und konnte heftig(st) gerührt mitschmettern: 
"Was hat die Zeit mit uns gemacht?"

Wahrscheinlich eher ein atypischer Song für diese Stelle, wo die meisten irgendwas mit 180bpm auswählen, um sich für den schmerzhaften Rest der Strecke zu pushen. Mein Gefühl dort ist aber "oft" (wenn ich das als 3-Sterne-tU-Youngster mal so sagen darf) eher etwas melancholisch (die restlichen km schafft man von hier auf jeden Fall auch auf den Brustwarzen [oder im äußersten Notfall mit Haralds Hilfe]): "Schade, der tU ist schon wieder so gut wie vorbei! - Schon wieder ein Jahr warten!" Warten auf dieses unglaublich wohltuend-entspannende Ambiente der Gesamtveranstaltung, auf die mit Zelten zugepflasterte Streuobstwiese im Sonnenschein, keinen Krach, auf die kleinen Klönrunden beim Bier (mit und ohne), die sich dort schnell und zwangsläufig bilden (Tach Udo, tach Falk, tach Andreas, tach Harald, tach Carlos, tach alle, die auch endlich mal die BC mitlaufen wollen, moin Hermann, moin Axel, hi Martin & Leo, nix hi Dude - we all did miss you a lot! - Micha, Roman, Hubertus - kommt doch mal früher, ihr könnt doch auch mal hier nicht schlafen!), auf dieses seltene "Ferien-auf-Saltkrokan-Alles-Ist-In-Ordnung"-Gefühl (zugegeben, dieses Gefühl wird unter Umständen später kurzfristig auch mal unterbrochen, wenn man im Rennen schon wieder einen "letzten" Hügel nicht mehr auf dem Schirm hatte).

"Was hat die Zeit mit uns gemacht?"
Mit mir an diesem Lauftag, mit uns in unserem Läufer-Leben?
Der Song ist ja nun zweifelsohne ein (besseres) Liebeslied, aber Liebe ist Leben und Leben ist Laufen und Laufen ist Liebe, und deswegen passt zwangsläufig (wie in vielen Liedern) viel Text zum Laufen (auch wenn er dafür manchmal ein ganz klein Wenig aus dem Zusammenhang gerissen werden muss ...).

An diesem Tag haben mich die knapp 11 Stunden seit dem Startschuss von pace 5:30 auf pace 6:30 entschleunigt. Die abends gegenüber dem Morgen tieferen Gesichtsfalten rühren neben der unvermeidlichen leichten Dehydrierung (nein - liegt nicht an den VPs!) eher vom häufigen Grinsen, das einem die vielen Kilometer, VP-Gespräche, Meilen-Läufer-Überholungen usw. ins Gesicht schnitzen (sieht man auf keinem Bild? Ist ja bekanntlich auch eher innerlich, mein Grinsen ...). Und natürlich: Der alte Ultra-Spruch, wonach einem am Ende was anderes weh tut als am Anfang, bewahrheitete sich einmal mehr.
Was die Zeit mit mir in den letzten Jahren gemacht hat - nee, das wird dann wohl besser mal ein separater post (z.B. zum 10jährigen Jubiläum des Beginns meines Laufens am 1.10.2016). Nur so viel: Ich hab inzwischen gelernt, wo ich läuferisch "hingehöre", und das ist nicht Biel (zu groß, zu dunkel, zu flach) und nicht der ZUT (zu groß, zu laut, zu steil). Und ich weiss, dass es nach einem 100er-DNF auch immer wieder ein 100er-Finish gibt (und dafür muss inzwischen fast "traditionell" der tU herhalten).

"Wir sind doch nicht so wie die andern"
Nee, sind wir nicht! Wir stehen um 3 auf, um um 4 loszulaufen, so ca. 10-15 Stunden lang. Oder gleich gar nicht zu schlafen und uns schon am Abend an die 100 Meilen zu machen. Einige starten da wirklich im Tiefstart. Schlafentzug soll eine gute Verhütung posttraumatischer Komplikationen sein. Lebt Ihr denn alle so gefährlich? Um 6:15h wird der schlafende Wald um das schlafende Ruhla per Mikrofon und Verstärker über die Einlaufreihenfolge am dritten VP informiert. Unterwegs trinken wir Brüh-Cola und futtern Schokoriegel mit Salami. Nach dem Lauf fallen wir beim Hose ausziehen einfach um und nehmen zur Getränkeausgabe die Rollstuhlrampe statt der zwei Stufen. Und dann hängt auch noch die Medaille in die Suppe. I love you all!

"Der Himmel über uns, früher war der blau."
Ja, nachts beim Klogang glänzten noch die Sterne. Dann wurde es grau und grauer. Bis auf diesen irren Moment auf der Wiesenquerung vor VP2, als die Flanken des Inselsberges durch irgendein unsichtbares Wolkenloch von der aufgehenden Sonne in einer Weise krass beleuchtet wurden, dass man mit offenem Mund hätte stehen bleiben und mal in Ruhe staunen müssen, hätte man sich nicht in einem Rennen und auf einer wichtigen Mission befunden - sub11h (aber so wichtig war das letztlich auch wieder nicht - was hab ich gestaunt!).

"Der kalte Wind treibt uns nach Norden." 
Man glaubt es kaum: Während wir hier in den Vorjahren buchstäblich gegrillt wurden, sinkt (!) bemerkenswerter-, aber genau so angekündigterweise die Temperatur über den Tagesverlauf von ca. 18° auf ca. 14°. Die Privat-VPs im nordwestlichen Randbereich von Tabarz und dann in Hörsel (vgl. Episode I) machen diesmal wohl eher bescheidenen Umsatz, können aber als sicheres Indiz dafür genommen werden, dass diese Metropolen weiterhin bewohnt sind (denn leere Freibäder gibt es hier bekanntlich ja auch bei 38° und nicht nur heute, vgl. Episode II). - Die 100Meiler schwärmen von der "lauesten und geilsten Nacht ever", die 100km-Leute freuen sich wieder über das Nicht-Frieren am Start. Ganz mutig - nein, vermutlich doch etwas unvernünftig - stelle ich mich trotz instabiler Wetterlage mit genau 4 Kleidungsstücken an den Start (Kurzarm-Shirt, Short-Tight, linker Socken, rechter Socken, na gut, und Schuhe [Brooks Pure Flow4]). 2 Riegel noch. Klopapier - klar! - Kein Rucksack, keine Flasche, keine Regenjacke. Zur Sicherheit gibt es ein dropbag mit allen diesen Sachen bei km55 [aber ich habe nichts davon angerührt]. Dieses Gefühl, einen 100er ohne Gepäck zu laufen, ist einfach nur geil. Und nur möglich, weil der tU 18 bestmotivierte VPs auf die Beine stellt und nur am Anfang (egal) und einmal in der Mitte (aber mit viel bergab, kann sein, dass man da sogar mal Falk [temporär] überholt) mehr als 6km zu überbrücken sind. Finsterbergen macht zwar seinem Namen alle Ehre und schickt die dunkelsten Regenwolken auf uns los (und halt wieder Falk), aber die Balance zwischen Regenkühlung von außen und Schweißnachschub von innen bleibt immer erhalten, sodass ich (Frostköttel vor dem Herrn) dieses Schmalspurequipment-Experiment unbeschadet überstehe. Mein Klopapier ist irgendwann alle (diesmal keine Wadenkrämpfe im Splittergrund, sondern ...). Aber die Damen am nächsten VP haben Küchenrolle. Verstehen freilich nicht, wieso ich nicht lieber ein Schmalzbrot nehme.

"Da ist die letzte Bar, ist der letzte Drink"
(c) feierspion.chayns.net
Klar, das ist VP95, und wer ihn nicht erlebt hat, hat ein langweiliges, bedauernswertes Leben geführt. Nicht nur, dass die das da überhaupt mit den Wunschliedern hinbekommen, was bedeutet, dass stundenlang irgendwelche fernglas-bewaffneten Späher nach den oft nicht vorne getragenen Startnummern Ausschau halten müssen - ich höre mir auf den letzten Metern auch noch meine ganze tU-Geschichte an und dass ich letztes Jahr ja wohl erst eine Stunde später hier war. Stimmt - woher wissen die das? tU-Läufer: Benutzt Sicherheitsnadeln, vorne! (Dann kommt man auch nicht auf zeit-raubende Gedanken wie Hemdwechsel usw.)

"Wir sind doch beide vom selben Stern!"
Hier irrt Udo erstmalig. Hier ist keiner vom selben Stern (oder das Universum ist doch ein einziger großer). Jedenfalls nicht, wenn er das Ziel erreicht hat. Dann hat er nämlich einen mehr auf dem Trikot. Und Stern ist nicht gleich Stern. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich 2016 mit 2015 vergleiche. Das eine war ein höllenrittnaher Glutstern, der jetzige fand auf einem sehr erdähnlichen Trabanten mit menschenfreundlichen Umweltbedingungen statt. Nur die 100 Kilometer waren auf beiden (fast) gleich lang.

tU 2016 vs. tU 2015


"Aller guten Dinge sind drei." Das wäre normalerweise jetzt hier wohl der passende Schlusssatz.
Aber nicht beim tU!
Nächstes Jahr wird es vielmehr wieder heißen:

"Auf dieser Autobahn, lass uns nicht weiterfahrn.
Die nächste Ausfahrt hier - ey komm die nehmen wir."


Klar - Waltershausen (bei Fröttstädt)!

Danke an alle!
Es war ein Ultra-Fest.

beim Baltic Run ist es dann die 67. Reiner Zufall.