Montag, 2. Mai 2016

WHEW - Wunderschöne Hundert, etwas wässrig

Was kommen wird, scheint wenig utopisch:
In nicht allzu ferner Zukunft wird es einen Lauf auf der Trasse der ehemaligen Wuppertaler Schwebebahn geben (die im Jahr 2027 wegen zu hohen Aufwands beim Entrosten der Millionen Eisenstreben stillgelegt werden wird). Dann, spätestens dann, wird Wuppertal über das endgültige Alleinstellungsmerkmal in der Laufszene verfügen. Bis es soweit ist, müssen wir notgedrungen mit der aktuellen, keinesfalls weniger spektakulären Alternative leben: dem WHEW 100km-Lauf über die bereits abgewickelten normalen (Neben-)Bahnstrecken in und um Wuppertal (obwohl: wenn man sich den aktuellen Zustand des sog. Wuppertaler Hauptbahnhofs ansieht, könnte man meinen, auch die Aufgabe der Haupttrasse stehe unmittelbar bevor. Ein ICE-Bahnhof, an dem du Sonntag morgens nicht mal einen schlechten Automaten-Kaffee bekommst - einzigartig!) und zwischendurch auf alten Leinpfaden die Ruhr zwischen Hattingen und Essen entlang. Insgesamt: Malerisch! Selbst bei diesem Mistwetter.


Was müssen die Leute stolz gewesen sein, als sie 1883 den Tunnel "Schee" eröffneten. Ein Bauwerk für die gefühlte Ewigkeit! Jetzt, keine 150 Jahre später, kann er von Glück sagen, dass es weitblickende, vielleicht sogar visionäre Menschen gab, die die Umwidmung der Nordbahn in ein Paradies für Radler, Läufer, Inlineskater und Spaziergänger betrieben und den Erhalt der Gesamttrasse gegen neuzeitliche Interessen wie z. B. ausufernde Gewerbegebiete durchgesetzt haben. Ich bin also schon ziemlich geflasht, als ich nach 13km durch sein Südportal laufe. Bis dahin liegen bereits mehrere Brücken, Tunnel und ehemalige Stadtteil-Bahnhöfe (praktisch: VP direkt an der Bahnsteigkante!) im Starkregen bei 5°C hinter mir. Und ein wenig Steigung. Steigung, die (noch) nicht weh tut, denn hier verkehrten ja keine Zahnradbahnen, und so dürften es nie mehr als 3% oder 4% Neigung sein, auf denen wir unsere Höhenmeter heute sammeln. Ein wahrhaft laufbarer Lauf. Der aber auch gerade deshalb richtig weh tut. Steile Rampen, die als willkommene Entschuldigung für Wanderpassagen herhalten können, sind Fehlanzeige (vllt. mit Ausnahme der 50m hinter dem Viadukt vor dem "Einstieg" auf die Panoramaweg-Trasse der ehemaligen Niederbergbahn bei km 64). Also laufen, laufen, laufen. Ohne Gnade.

Es beginnt in der Utopia-Stadt. Schon wieder Visionäre! Das etwas heruntergekommene, aber reichlich spröden Charme verströmende Bahnhofsgebäude Mirke ist das Veranstaltungszentrum mit Start und Ziel. Keine 200m entfernt das Massenlager in einer sanierten Altbau-Schulturnhalle, zu der uns RaceDirector Guido höchstpersönlich rüberführt. Massenlager ist relativ: 12 Leute in der Nacht vor dem Lauf, 3 in der Nacht danach. Die meisten scheinen hier (noch!) aus der Region zu stammen und kurze Anfahrtwege zu haben. Kurzum: Es ist schon fast zu ruhig in der Halle (ich muss an die hunderte Schnarcher denken, die sich parallel gerade wieder in Wernigerode rumwälzen werden). Die Bewegungsmelder, die das Deckenlicht steuern, sind auch schnell stillgelegt. Ich wache tatsächlich erst um 5.30h vom Wecker auf.

Mein 5. Finish beim 7. Hunderter soll es heute geben. Offensichtlich ist diese Distanz für mich also weder mit nennenswerter Erfahrung unterfüttert noch ein Selbstläufer. Und diesmal trotzdem nicht viel mehr als sozusagen "another brick in the wall", nein, genauer: "for The Wall", den Mauerweglauf im August in Berlin, nach aktueller Planung mein erster und letzter Hundert-Meiler (denn danach höre ich ja auf).

Kein Selbstläufer also. Daraus folgt: Gute Vorbereitung ist angeraten! Im Allgemeinen und Speziellen. Im Allgemeinen bedeutet, ausschließlich auf bewährtes Equipment, das man sozusagen im Schlaf bedienen kann, zurückzugreifen. Aber es muss auch die an dem konkreten Tag für die konkrete Strecke passende Ausrüstung sein. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Temperatur, Niederschlag, Wind - diese 3 Komponenten analysiere ich die ganze Vorwoche auf verschiedenen Portalen - mit zunehmend grauen Haaren. Und letztlich wurde nirgends auch nur annähernd die Regendichte vorhergesagt, die dann tatsächlich über uns hereinbrach, aber immerhin stimmten Temperatur (6°-9°C) und Wind (fast windstill). Jedes unter den gegebenen Umständen überflüssige Gramm bleibt zu Hause, was einfach ist, wenn man nur mit einem Rucksack mit der Bahn unterwegs ist. Zur zielorientierten Vorbereitung zähle ich inzwischen auch ausschließliche Eigenverpflegung am Abend und Morgen vor dem Lauf. Der kleine Wasserkocher für den Yogi-Ingwer-Tee ist Pflicht. Und frühzeitiges Beinehochlegen, so gegen 19h. Egal, wie lange man dann noch wachliegt, Hauptsache liegen. Merkwürdige Vorstellung, "nachher" evtl. so lange unterwegs zu sein, wie man jetzt noch zu schlafen hat.

Dann kommt das Spezielle, der Lauf im eigentlichen Sinn. Markierung oder GPS-Navigation? Wieviele Höhenmeter wann wo und wie steil? Wo liegen die VPs, was gibt es da? Gibt es Dropbag-Punkte? Will ich mir unterwegs wirklich klitschnasse Klamotten runterzerren, mindestens 5 Minuten verlieren, nur um 10min später wieder in klitschnassen Klamotten zu laufen? Nein, das spar ich mir. Lieber mit Rucksack laufen und völlig autark sein. Geht ja sogar bei der BC. Meine beste Eingebung war, vor der Abreise noch mal etwas im Netz zu stöbern. Bei Udo findet man in seinem gewohnt lesenswerten Bericht von 2015 einige elementare Aspekte, z. B. die nicht enden wollende Steigung zu Beginn des letzten Streckendrittels, in Christophs Video sieht man die Flatterbänder, die es im Auge zu behalten gilt und wie man aus der Wäsche guckt, wenn man doch eine Ehrenrunde über 6km absolviert hat. Also hämmere ich mir ein: Längster VP-Abstand 11km (zwischen 50 und 61 [oder 58?]), 14k hoch, 14k runter, 35k flach, 17k(!) hoch bis km81, erst dann bist du oben, erst dann!, und wellig weiter bis ins Ziel. Und immer an den Ruhr-Brücken aufpassen, da muss man manchmal die Seite wechseln und manchmal nicht.

Wenn ich nicht letztes Jahr im Juni beim ZUT bei noch etwas irreren Verhältnissen in den gleichen (wenigen) Klamotten am Start zu einem 10 bis 12stündigen Abenteuer gestanden hätte, welches ich dann wohlbehalten überlebte - mir wäre wohl etwas mulmig geworden kurz vor 7Uhr am Mirker Bahnhof. Alles verkriecht sich unter die aufgebauten Zeltdächer oder gleich ganz in die warmen Bahnhofs-Hallen. Bis 2min vor dem Start steht niemand auf der Strecke. Stimmt - beim APUT 2014 war das auch so. Wann bin ich eigentlich zum letzten Mal in Sonne und Wärme gelaufen? Ach ja, beim TU 2015 haben wir nicht gefroren ...

An dieser Stelle, wo wir die letzten Minuten vor dem Start eh nur unnütz rumstehen, mal ein Wort in eigener Sache: Wieder passiert es einige Male vor, während und nach dem Lauf, dass der eine oder die andere freudestrahlend auf mich zukommt und wohl zurecht erwartet, zumindest mit dem Namen angesprochen zu werden, aber mich nur ratlos bzw. leicht verschämt nach dem Namen auf der Startnummer schielen sieht. Müsst ihr euch nichts draus machen, ist auf keinen Fall persönlich zu nehmen. Ist so bei mir. Im Zweifelsfall erkenne ich Menschen eher am Auto (von daher war klar, dass Olli vor Ort sein musste) bzw. noch eher an dessen Nummernschild. Und auch wenn mir jemand noch vor 2 Wochen beim Nudelnfuttern gegenüber saß, ist das keine Garantie für spontane Wiedererkennung. Ist einfach so. Nach dem 4. oder 5. Mal besteht allmählich eine Chance auf dauerhafte Verankerung in den unergründlichen, bestimmt schon leicht verplaqueten Gehirnwindungen. Raimund, Steffen und Fraggle haben offenbar ausreichend Geduld aufgebracht, Olli steht kurz vor dem Aufstieg und bei Sascha wird das auch schon noch werden. Guido würde ich glaub ich wiedererkennen, Ausnahmen bestätigen eben immer die Regel.

Ich glaube, der WHEW ist seine Idee und sein Werk. Wenn's nicht stimmt, sorry. Und wenn's stimmt: Glückwunsch! Und: Na klar helfen da auch noch ein "paar" Andere mit (der Ratio Läufer vs. Helfer dürfte aktuell noch ungefähr bei 1:1 liegen)! - Auf jeden Fall verströmt die Veranstaltung eine äußerst sympathische Gesamtatmosphäre und nicht zuletzt fällt das durchgängige, ansprechende Corporate Design ins Auge. Da waren Profis am Werk. Das verbreitete Grau des (erweiterten) Ruhrpotts, durchzogen von schmalen grünen Pfaden? Oder andersrum: Die grünen Grasränder rechts und links des hellgrauen, babypopoglatten Superasphalts der Nordbahnstrecke!? Ich verkneife mir das T-Shirt noch, für nach dem Finish. Bin geringfügig abergläubig. Deswegen leihe ich mir auch keinen Tracker, der den Daheimgebliebenen "an den Geräten" meinen potentiellen Niedergang ungeschminkt zum Kaffeetrinken servieren könnte.

Foto: Wolf Birke

Und los! Puls: Ganz unten. Darmfüllung: Am Anschlag. Mein ganz privates Thermofensterproblem.
Nach 3km weiß ich, mit wem ich heute nicht tauschen möchte: Den Run&Bike-Teams! Einigermaßen warm gelaufen irgendwann auf's Rad wechseln wollen und dann bei 5° in der Schüttung ein leichtes Gefälle runterrollen müssen - dem sicheren Gefriertod entgegen. Ich beobachte einige Wechsel (natürlich im Trocknen in Tunneln oder unter Brücken) und sehe, dass die sich da fast alle jeweils komplett umziehen. Nicht mein Ding. Lieber laufen! Nur Laufen - das ist hier so einfach wie selten. Das Gelände kann hügelig sein wie es will - du schwebst drüber und drunter durch! Kilometerlang nicht die kleinste Stolpermöglichkeit, du kannst (endlich mal) beruhigt rechts und links und von den vielen Brücken runterschauen, du findest deinen Rhythmus. Wenn nicht hier, dann nirgends. Schnell fühle ich mich selbst als Vorortbahn, die diese unzähligen Wuppertaler Ortsteile mit ihren Haltepunkten abklappert und insgesamt wohl durch 7 oder 8 Tunnels (teilweise mehrere hundert Meter lang) und über unzählige Viadukte tuckert. Da, wo es mal Bahnübergänge gegeben haben mag, stehen hilfreiche orange Männchen mit weißen Helmen, die natürlich sofort an Playmobil-Figuren erinnern und das aufkommende innere Bild, hier als Zwerg auf einer Modelleisenbahnanlage unterwegs zu sein, nur noch weiter verfestigen, und halten die Autos an. Dann immer wieder tiefe Geländeeinschnitte, die einen komplett von der doch recht stark bebauten Landschaft abschirmen und den Blick auf die Kleinigkeiten wie die moosüberwucherten Stützmauern oder alte Kilometersteine schweifen lassen.

Gutes Stichwort. Kilometerstein. Was sagt denn das GPS? Bei km 10 herrscht noch totale Einigkeit mit der Streckenfahne, obwohl wir schon durch 2 Tunnel sind und da drin Satellitenempfang natürlich ein Fremdwort ist. Wenn man wieder rauskommt, malt "das System" in Gedanken wohl eine gerade Linie zwischen die beiden Tunnelportale, was sonst. Aber es gibt eben auch kurvige Tunnelverläufe. So kommt es wohl im Laufe der Zeit bzw. absolvierten Strecke zu leichten Abweichungen zwischen meiner Uhr und den Markierungen. Am Ende genau 1km (ein Prozent, was ist das schon?), wobei noch eine Mini-Ehrenrunde und ein Ausflug in die Büsche abzuziehen sind. Neben der Streckenmessung ist aber vor allem die Ermittlung der Höhendifferenzen auf dieser Route, die ja immer wieder nicht auf der eigentlichen Erdoberfläche verläuft (Tunnel und Brücken und sehr schmale Geländeeinschnitte, die in einem gerasterten Geländemodell evtl. auch untergehen), nicht gerade trivial. Eigentlich macht da nur ein Barometer Sinn (aber wie ist das mit dem Luftdruck im Tunnel, die Temperaturen weichen jedenfalls ziemlich ab). Der Veranstalter postuliert knappe 500 Höhenmeter. Mein korrigierter Track kommt auf das Doppelte. Nicht überraschend: Ein Tunnel geht gemeinhin durch einen Berg. Der Track der Verbindungslinie zwischen Einfahrt und Ausfahrt somit oben drüber. Und bei den Brücken ist es umgekehrt. Da sammelt sich einiges (nicht tatsächlich Gelaufenes) an.

Eine Einschätzung in diesem Zusammenhang, die ich mir schon vorher (siehe Vorbereitung) ausgemalt hatte, bewahrheitet sich: Nicht die gleichmässigen, sehr moderaten Uphills werden die alleinige Herausforderung, auch die 35 topfebenen Kilometer ab km 30 die Ruhr entlang wollen erstmal gelaufen sein. Schritt für Schritt - keiner geht von alleine. Und das nach der Distanz, nach der man sonst meist die Laufschuhe wieder auszieht. Was mich am Leben hält: Wir haben 30k in den Beinen, die TorTouristen kriechen hier in 2 Wochen nach 170k lang, auf ihrem 230km langen Nonstop-Weg der Ruhr von ihrer Quelle bei Winterberg bis zur Mündung in den Rhein bei Duisburg folgend. Mein Beileid und meine Bewunderung ist ihnen bereits jetzt sicher.

Topfeben? Nicht ganz. Da sind zum einen enorme Berge von (glitschigen) Gänseschissen, über die man drüber muss. Wir laufen wirklich nur 50cm neben dem Wasser (das über weite Strecken nur wenige Zentimeter unter dem Niveau des Weges steht) und die Viecher sitzen in Rudeln auf den Wiesen nebenan und grasen. Aber da machen sie wohl schlauerweise nicht hin, und ins Wasser auch nicht, bleibt also nur der Uferweg. Der ist dann zusätzlich zunehmend von riesigen Pfützen bedeckt, die man teilweise über die völlig durchweichten Bankette umgehen muss - mit profillosen Straßenschluffen nicht ganz ungefährlich, wie ich merke. Bloß keine ruckartigen, ungewohnten Ausweich-Bewegungen - akute Krampfgefahr!

Zum anderen müssen wir ein paar Mal die Talseite wechseln. Dazu geht es meist spiralmäßig über Rampen auf die Brücken hoch. Das sind die prädestinierten Stellen, um sich beim WHEW zu verlaufen: Geradeaus weiter geht immer! - Ich hatte mich so auf den späteren Punkt bei km 62, wo man das Ruhrtal insgesamt wieder verlässt, und wo es Christoph letztes Jahr erwischte, konzentriert, dass ich von Glück sagen kann, dass jemand bei km 40 hinter mir herbrüllt, als ich gleich die erste Brücke als Richtungsänderungsmöglichkeit ignoriere. Immerhin habe ich nicht einfach nur geträumt, vor mir läuft ja noch einer (auch falsch) und ich habe nach Markierungen Ausschau gehalten (und keine gesehen, was einen an solch einer Stelle immer erstmal zum Anhalten zwingen sollte). Aber die Flatterbänder machen witterungsbedingt ihrem Namen teilweise gar keine Ehre und kleben nass an ihrem Pfahl oder Geländerpfosten. Die zusätzlichen Bodenmarkierungen sind auf der ersten Streckenhälfte komplett Opfer des Regens geworden und nichts mehr als neckische grüne (!) Flecken auf dem grauen (!) Teer: "Na, was meinst Du, in welche Richtung hab ich mal gezeigt?" - Es geht alles gut, ich bin jetzt wach und rette meinerseits noch ein paar [angeblich ortskundige] Teilnehmer vor dem buchstäblichen Weg zurück - ins sichere Verderben.

Pünktlich zur Halbzeit muss ich einen innerlichen Systemumschwung feststellen. Von "alles gut" auf "komisches Gefühl im Magen" innerhalb weniger Minuten - nicht ganz neu! Zu viel gegessen? Eher zu wenig. Also nach den bisherigen (Frucht)-Riegeln mal auf Gel wechseln. Hat beim TAR gut funktioniert. Heute aber gar nicht. Innerhalb von einer Minute wird mir (kotz)übel. Sofort läuft der Negativ-Film ab: Den Rest wandern, zermürbendes Durchquälen über den verbliebenen Marathon, wie schon öfters, nie muskel- oder kraftbedingt, immer wieder nur ernährungstechnisch, wie auch bei den zwei 100er-DNFs in Biel? Oh, das bitte nicht noch mal! - Stop! Das läuft heute anders! - Ich gehe. - Bei km55 auf ebener Strecke. Puls runter holen. Atmen. Die Minute, die du hier verlierst, wird dich nicht umbringen. Die neue PB war zur Halbzeit möglich, ist hier aber nie das Ziel gewesen. Das einzige Ziel ist hier, "gut" durchzukommen, optimalerweise im Laufschritt. Sub10 im Auge behalten, maximal, ok, so lange es Sinn macht. Spartathlon-Quali! (Was ist das jetzt wieder für ein Spuk?) - Ich trabe ganz langsam an, 500m weiter kommt doch noch der "etwas" überfällige VP58k. Ich steige um, von Cola auf Malzbier. Ruhig weiter. Es geht, nein, läuft wieder.

Ein paar unangenehme Meter auf Straßen durch die Bebauung, dann durch ein enges Viadukt, die Rampe dahinter hoch - und auf kann es gehen, zur final attac! - Gut 17km sanft, aber unerbittlich bergauf. Endlose Geraden, endlose Kurven, Udo hat es wirklich perfekt beschrieben. Die Wahrnehmung, dass es nicht mehr höher gehen kann, weil: da ist ja nichts anderes mehr als Himmel am Horizont!! - Aber es geht weiter rauf, weiter rauf. Na klar, ich bin ja auch noch nicht bei 81k! Wusste ich doch, weiss ich doch, es stimmt eben einfach, Blödmann! Hör' auf, zum Horizont zu starren! Höre das Konzert der Vögel (ich meine jetzt nicht die metallenen im Anflug auf Düsseldorf, die leider etwas nerven). Lausche dem Konzert einer der SoundBikes, die sich alle paar Kilometer nach einem Pläuschchen am VP wieder von hinten nähern. SoundBike? Diese Art Lastenfahrrad mit dem abgesenkten Lastenabteil vor dem Fahrer. Da steht dann ein ca. ein Kubikmeter großer Wummerkasten drauf, natürlich drahtlos mit irgendwelchen Servern vernetzt, von denen lauffähige Mucke gestreamt wird (war das jetzt richtig?). Die wird real am Mirker Bahnhof live vom Vinyl in den Äther geschickt, sehe ich später im Ziel. So Reggae-Dub-Style etc., es wummert eben verhalten vor sich hin und hat damit den für einen 100er passenden Rhythmus. Bin aber doch froh, das nicht 10 Stunden am Stück hören zu müssen.

Jenseits von km 65 nehme ich außer 3 Blaubeeren, 1 Erdbeere und 5 Salzstangen nichts Festes mehr zu mir. Ich trinke abwechselnd Cola und Malzbier. Links Malzbier, rechts Cola. Malzbier ist süß im normalen Leben. Aber direkt nach einem Schluck Cola schmeckt es herb wie ein Pils. Die rechte Cola-Flasche hat nach dem Lauf die Getränkefarbe angenommen, die linke Malzbier-Flasche nicht. Überleg mal, was das für deinen Magen bedeutet, wenn sich das Zeug offenbar in das bestimmt nicht sehr minderwertige Plastik der UD-Flaschen frisst!! - Ich steig um auf Malzbier!! - Die Erkenntnisse während eines Ultras sind immer wieder umwerfend lebensrelevant.

Die Pace geht kontinuierlich in den Keller. Ich versuche, zu rechnen, Richtung Zielzeit sub10. Geht nicht. Ein gutes Zeichen! Es werden offenbar keine Energien mehr nicht für's Weiterkommen (kann man das noch Laufen nennen?) eingesetzt. Ein paar unruhige Kilometer zwischen 90 und 95km, mit den insgesamt steilsten Abschnitten, weil wir hier nicht mehr auf der Bahntrasse sind, sondern an normalen Straßen langlaufen. Bergauf kurze Geheinlagen. Macht nichts. Wird funktionieren. Bei km 94 betreten wir endlich wieder die rettende Trasse. Letzter VP. Home Run! Babypoposchlurfasphalt! Gegenwind. Keep going! 2 Tunnel noch. Gleichnamiger Blick, nicht nur da drin. Der rote Zielbogen. Ich bin wirklich wieder da, 9:51h - das Ding ist im Sack. Und ich lebe noch einigermaßen.

Foto: Alexander Maus, VP 94km
161km? - Ja, halte ich irgendwie für möglich. Da muss ich ja keine Zeiten jagen. Gar nicht viel langsamer laufen (das kommt von alleine), nur mehr Zeit mit Futtern an den Stationen verbringen. Die Schmerzen werden ja so ab 55/60k eigentlich nicht mehr schlimmer. Ich hoffe mal, dass das jenseits von 100k auch noch eine Weile gilt. Werden wir sehen.



Screenshot: whew100.de





1 Kommentar:

  1. Schöner Bericht, der mir ein paar wertvolle Stückchen im Vorbereitungspuzzle für meinen ersten WHEW gebracht hat. Vielen Dank dafür!

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