Montag, 8. September 2014
Atemlos durch die Nacht
Heute wird's mal nicht so lang!
Dafür war es ja der Lauf, oder besser: er hätte es werden können ...
Die 24 Stunden von Le Mans - nein: Rüningen. Dies ist ein beschaulicher Vorort am Südrand von Braunschweig, der sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass es dort selbst bei 90% Niederschlagswahrscheinlichkeit nicht regnet und alle Gewitter einen großen Bogen um die Piste machen. Die Piste - das ist ein bis auf den letzten Zentimeter vermessener, 1000m langer Parcours, der keinerlei Hindernisse oder Schikanen (bis auf eine 180°-Rechtskurve) aufweist, und garantiert auch keinen einzigen Höhenmeter (deswegen war ich ja auch hier; nach 2 Bergläufen einfach mal wieder flach laufen, ohne hinzugucken). Die Strecke gliedert sich vom Belag her in ca. 400m Rasen, 350m Tartan und 250m Asche (Grand), insofern kommt der Wahl der optimalen Bereifung natürlich entscheidende Bedeutung zu. Es gibt eine Boxen-Gasse mit Multi-Media-Wand, auf denen jeweils der aktuelle Rennstand zu ersehen ist, und unverzichtbare Infrastruktur wie einen Catering-Bereich (der z.B. morgens um 5h warme Pellkartoffeln im Angebot hat - genial!), Massage-Zelt, und eine Bühne für Live-Musik. Nachts wird das Ganze ordentlich durch Flutlicht ausgestrahlt. Das wichtigste aber vielleicht (zumindest für mich) ist die sattgrüne, topfebene Wiese, auf der man sein Zelt in maximal 50m Luftlinie zur Strecke aufschlagen kann. Damit steht dem vollen Sinnen-Erlebnis (Geräusche, Gerüche, Überholmanöver) auch während der (nicht gerade kurzen) in der Horizontalen verbrachten Rennabschnitte nichts im Wege.
Die 24 Stunden von Rüningen. Das Programm: Wir sitzen nicht im Rennwagen, sondern bewegen uns irgendwie auf 2 Beinen fort. So schnell wir wollen, so lange wir wollen, so oft wir wollen. Und wir wollen dann ziemlich oft und so schnell wie (noch) möglich, denn sonst fressen uns die Mücken auf. Nein, im Ernst, seien wir ehrlich: der Beiname "Lauf" ist in Bezug auf die Mehrheit der Teilnehmer und/oder Stunden nicht wirklich angebracht. Sei's drum! Dafür ist die Atmosphäre wirklich so entspannt, wie man es bei vielen geplanten Familienfesten leider nicht hinbekommt. Neben den Laufklamotten gilt es somit zunächst, Party-Garnituren, Grillapparaturen und Getränkevorräte auf die Wiese zu schaffen. Profis bewerkstelligen das mit Sackkarren oder Ähnlichem, Greenhorns wie wir vom ASFM (Hecke und Sanna sind auch dabei) müssen alles schleppen und haben so bereits vor dem Start ca. 60% ihrer Carbo-Speicher verbraucht.
Um 15 Uhr geht der Spass los. Noch nicht sehr bedeutungsvoll zeigt die große Digital-Uhr über dem Start-Tor die "24:00:00" an. Für mich gibt es damit zum ersten Mal kein "wie weit noch?", sondern nur ein "wie lange noch?" Sehr ungewöhnlich (und gewöhnungsbedürftig). Aber genau dafür ist die Uhr da. Mit dem Startschuss beginnt sie ihren langen, sehr langen Count-Down auf "00:00:00". Zeitgleich erschallt eine tatsächlich bis zum Lauf-Ende am nächsten Nachmittag um 15h nicht mehr aussetzende Playlist mit liebevoll ausgesuchten Stücken, die - wenn man hinhört - alle irgendwie zum Thema Laufen, zur jeweiligen Tageszeit, oder sonstigen Lebenslagen passen. Das Ganze verteilt auf alle denkbaren Genres von Metal bis Schlager, von Abba bis Zappa und aus einem Zeitfenster von 1970 bis 2014. In Runde = Kilometer 5 joggen wir zu Billy Jean ("I am the one who will dance on the floor in the round"), danach verschwimmt alles schnell in der einsetzenden Erschöpfung. Bis auf eines: "Atemlos durch die Nacht." Leute, ok, die Nacht war lang, und das Lied kenne ich jetzt, es wird nie wieder aus meinem Stammhirn weichen. "Guten Morgen, liebe Sonne!" - ja, sie schien da mit Sicherheit schon über dem Nebel, der uns bei Tagesanbruch umgab.
Wie gesagt, es wird heute nicht so lang, keine (sportlichen) Details. Bis vielleicht auf die Tatsache, dass Sanna ihre 85km barfuss laufen musste (Schuhe zwar nicht wie früher mal beim Sieber Berglauf vergessen, aber dafür 2 linke eingepackt). Ansonsten steht alles in aller Ausführlichkeit in den Ergebnislisten und Statistiken. Meine sonstigen tiefschürfenden Erkenntnisse zum Rundenlaufen, die auch hier im Wesentlichen bestätigt werden, habe ich ja schon woanders zu Papier gebracht.
Was mir anders als eine fette Blase und eine leicht rubbelnde Knie-Außensehne nach 126km (neben besagtem Liedchen im Ohr) dauerhaft in Erinnerung bleiben wird, ist vor allem die Freude und Begeisterung, mit der die vielen Kinder, oft unter 10 Jahre alt, unterwegs waren. Blond-bezopft, stundenlang Hand in Hand schnatternd mit der Freundin schlendernd, auf Nachfrage strahlend und mit stolz geschwellter Brust (die trotzdem zu schmal für die Startnummer bleibt) die Rundenzahl verkündend ("17" am Abend, "28" am nächsten Vormittag). "Macht Ihr das eigentlich freiwillig oder kriegt Ihr eine Belohnung?" "Ja, wir dürfen jede Runde am Glücksrad drehen! - Und wenn ich einen Gutschein gewinne, schenk ich den Mama zum Muttertag, ich brauch' den nicht!"
Das sollte geklappt haben! Ein wunderbarer Urlaubs-Abschluss.
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