Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist natürlich mit
dieser Überschrift nicht gemeint: „Biel kann man (als 100km-Lauf) vergessen!“ Nein,
dieser Text ist wieder mal rein ego-zentrisch, und somit ist dieser Leitsatz (zunächst!)
als Aufruf an mich selbst gedacht: „Vergiss Biel!“ (und dein dortiges zweites
DNF beim 4. Versuch). Inwieweit weitere Deutungsmöglichkeiten hinzukommen,
werden wir im Laufe des Textes sehen…
Wie macht man ein 100k-DNF vergessen? Indem man einen 100k-Lauf finisht, das ist nahe liegend. Nicht unbedingt nahe liegend mag sein, dass man diesen nächsten 100k-Lauf auf die Minute genau 3 Wochen nach dem Rennausstieg zeitgleich morgens um 04:00 beginnt und ihn damit auch unter diesem Aspekt in gewisser Weise fortsetzt bzw. zu Ende bringt. Das geht wohl definitiv nur in der gewählten Kombination Biel / thüringenUltra. Mit „fortsetzen“ kann dabei nur die gedankliche Ebene gemeint sein, denn was haben Biel und tU gemeinsam außer der Distanz? Nicht viel! Startgeld, Teilnehmerzahl, Höhenmeter, Sprache – alles klafft doch deutlich auseinander. Aber was wären wir ohne diesen Strauß an Möglichkeiten!
Wie macht man ein 100k-DNF vergessen? Indem man einen 100k-Lauf finisht, das ist nahe liegend. Nicht unbedingt nahe liegend mag sein, dass man diesen nächsten 100k-Lauf auf die Minute genau 3 Wochen nach dem Rennausstieg zeitgleich morgens um 04:00 beginnt und ihn damit auch unter diesem Aspekt in gewisser Weise fortsetzt bzw. zu Ende bringt. Das geht wohl definitiv nur in der gewählten Kombination Biel / thüringenUltra. Mit „fortsetzen“ kann dabei nur die gedankliche Ebene gemeint sein, denn was haben Biel und tU gemeinsam außer der Distanz? Nicht viel! Startgeld, Teilnehmerzahl, Höhenmeter, Sprache – alles klafft doch deutlich auseinander. Aber was wären wir ohne diesen Strauß an Möglichkeiten!
Bei der Anfahrt an Eisenach vorbei grüßt der anlässlich des Rennsteig-Ultra von mir leicht hassgeliebte Inselsberg, und ich bin froh, morgen
nicht über ihn, sondern nur um ihn herum laufen zu müssen. Die Abfahrt
Waltershausen ist schnell erreicht, und tatsächlich finde ich meinen Weg durch
diese unglaubliche Zone aus McDoof, Baumärkten, Speditionen und Betrieben aller
Art und bin beruhigt, dass sie wenigstens das nette Dörfchen Fröttstädt nicht gleich auch noch
mit solch einer Mega-Halle überbaut haben.
Schon vom Auto aus erkenne ich die
auf den Asphalt gesprühten gelben U-Symbole für die Laufroute und habe so kein
Problem, die Lokalität Dorfgemeinschaftshaus / Sportplatz zu finden. Selbst zu dieser
frühen Stunde (15.30) sind bereits motivierte Einweiser vor Ort und so stehe
ich schnell auf einer traumhaften, sattgrünen Wiese zwischen Apfelbäumen, 50m
vom Ziel-Banner entfernt, und kann mir sogar noch einen geeigneten Platz
aussuchen. Geeignet heisst heute – Schatten muss her, denn es sind 29°C und der
Himmel ist fast wolkenlos. Gut, dass wir erst morgen laufen, wo „nur“ 24° und
ein paar Gewitter angesagt sind.
Kaum habe ich mit dem Zeltaufbau begonnen, steht auch
schon der race director himself neben mir und begrüßt mich. Ja, eigentlich
wollte ich hier schon seit Jahren starten, aber der Termin fiel oft in die
Ferien und da war es urlaubsfamilientechnisch immer schwierig. Dann erscheint der
allseits bekannte und beliebte Ultra-Texaner mit dem schwäbischen Akzent auf
der Szene. Wir haben Großes für morgen vor – ich jedenfalls, denn ich will
mindestens bis zum 1. Checkpoint bei ihm bleiben, um die Gefahr des Überpacens
zu minimieren (und mal „in Ruhe“ mit ihm zu quatschen). André hat hier schon 5mal gefinisht und dabei immer sehr konstant ein Zeitfenster von etwas über 12
Stunden getroffen. Angesichts der knapp 2.300 Höhenmeter und der meist
herrschenden hohen Temperaturen auch für mich eine Zeit, die einen passenden
Rahmen darstellen könnte. Vergiss Biel – meine 9.30er-Zeiten von dort sind hier
garantiert nichts wert bzw. unerheblich (ok, surprise, surprise, vergiss auch diesen Plan –
immerhin: die ersten 5k sind wir zusammengelaufen, und das in der selben AK, was nur alle 5 Jahre möglich ist).
Nach dem Abholen der Startunterlagen (der Astra bekommt endlich mal wieder einen neuen Aufkleber!) trinken wir unser erstes bleifreies Weizen unter diesem
reizenden Freisitz, der wie gemacht für dieses Wetter ist. Urlaub pur, sozusagen. Was André eigentlich
(konkret) beruflich mache, frage ich ihn, ohne zu ahnen, dass die uns beide
nicht sehr erhellende Antwort „operations“ (jetzt nicht im medizinischen Sinne
zu verstehen) ihn angeblich während des gesamten Laufs beschäftigen sollte und
er im Laktat-Rausch dann doch noch eine zumindest ihn befriedigende Übersetzung
finden wird. Wenn man bei einem 100k-Lauf sonst keine Probleme hat –
herzlichen Glückwunsch!
In der Garage eines neuen Anbaus gibt es später das an diesem Tag natürlich unvermeidliche
public viewing, es ist immerhin Viertelfinale! Ich weiss nicht, wann sich die
ersten dort ihre Sitz- (und Sicht!-) Plätze gesichert haben: Um kurz vor
Anpfiff hat man jedenfalls keine Chance mehr und eigentlich muss ich mich ja eh
auf andere Sachen konzentrieren. Drop Bag? Ja / nein / wie viele / wohin /
Inhalt? Rucksack ja / nein? Welche Schuhe? Das ist der Nachteil der
Auto-Anreise – man drückt sich vor Entscheidungen zu Hause und die Karre ist dann
einfach zu voll mit Optionen. Letztlich nehme ich den Rucksack mit 1,5l-Blase mit (Gott sei Dank, sag
ich nur im Nachhinein …), u.a. weil da alle Gels und auch ein Regenjäckchen
reinpassen. Auf 700m NN ist bei Gewitter der Sommer ganz schnell vorbei, machen
wir uns da nichts vor! Die Pure Grit II gehören zur Start-Formation (und tuen ihren Dienst dann ganz passabel und außer einer winzigen Blase gibt es keinerlei "bleibende" Spuren), die Pure
Flow kommen zum Einwechseln in den (einzigen) Dropbag für km54 (2. checkpoint).
Natürlich hab ich die Schuhe dann doch nicht getauscht, obwohl zumindest das
Ausziehen der Treter allein wg. diverser Steinchen (Gamaschen? Vergessen!!!)
angesagt gewesen wäre – aber man kennt das ja: Nach dieser Distanz mach ich
keine überflüssige Bewegung mehr, und die Doppelschleife krieg ich da schon mal
gar nicht mehr auf mit den unbeweglichen Fingern.
Nachdem ich dann mit leichtem Groll mein Zelt um 180°
gedreht habe, um nicht über die Motorhaube eines später angekommenen
Mitstreiters in meinen Eingang klettern zu müssen, ist wohl alles perfekt
vorbereitet, der Wecker natürlich völlig überflüssigerweise auf 03:00 gestellt
und alles klar für eine milde (selbst der dünne pro-forma-Schlafsack ist noch
zu warm), ruhige (Schade, dass die Autobahn auch nachts auf hat) und entspannte
(hahaha) Nacht. Unglaublich, aber wahr: gegen 1 Uhr werde ich von –
Regentropfen! – geweckt, die auf’s Zelt prasseln. Gut – „prasseln“ ist etwas
übertrieben, aber es regnet auf jeden Fall für ca. 1h, und ich erinnere mich an
den Elm-Lauf, wo alle Wetter-Portale einig waren, dass es im Vorfeld trocken
bleiben würde, und wir dann auf einer gleichfalls lieblichen, aber trotzdem
klitschnassen Wiese saßen. Nun, so schlimm wurde es hier nicht, und da man
einmal wach war, konnte man auch aufstehen, die Schlafzeit betrug geschätze 2
Stunden. Das Auto-Thermometer sagt 17.5°, und das ist doch mal ein Wort, morgens um
drei. Kein Problem, sich mitten in der Nacht gleich lauffertig anzuziehen und
dabei nicht zu frieren.
Erst jetzt morgens vor dem Start erhält man seinen frisch
auf die Startnummer kodierten Zeitmess-Chip, der – Novum! – am Handgelenk zu
tragen ist und ab und zu (grün) vor sich hinblinkt, was ich als Zeichen
verstehe, dass er noch lebt. Die Zeitmess-Firma SportIdent erscheint mir, nicht
zuletzt wegen der umfassenden Auswertungsmöglichkeiten im Nachgang, als sehr
professionell (übrigens genau wie DataSport in Biel!). Es folgt eine launige
Ansprache der Orga und schon schlurfen wir Richtung Start-Banner. Der Himmel
zeigt zwar bereits Spuren von Dämmerung, aber am Boden ist noch schwarze Nacht.
Das wird aber schnell vorbei sein und die ersten 5km gehen noch über einfache
Wege durch die Prärie, sodass sich Stirnlampen erübrigen. Nur Texaner tragen
eine, sogar über die Gesamtdistanz.
Der 8. thüringenUltra (mein 1.) hat begonnen! Es gibt kein
Zurück mehr und nur diese eine, einfach, aber brutale Option: Finishen! Vergiss Biel – die Erklärungen
(Nachtlauf gegen die Körperrhythmen und -funktionen) ziehen hier alle nicht!
Klar, um 04:00 bin ich auch noch nie losgelaufen, aber da stehen andere Leute
jeden Tag auf. Zeit
egal, denn (und das macht Erst-Läufe so angenehm): es wird auf jeden Fall die
Lauf-PB. Und wenn da die Latte nicht ganz so hoch gelegt wird, wird es
beim nächsten Mal einfacher, eine neue Marke zu setzen (und das ist bei mir
eigentlich immer Pflicht, Ausnahme: BC).
Ein bisschen mulmig wird mir schon, weil der Toilettengang vor
dem Start „nicht nötig“ war und es nach einigen km anfängt, in den Gedärmen zu
rumpeln und zu poltern. Nicht schon wieder! Ich bin wach genug, mich an so etwas wie
Bauch-Atmung zu erinnern und sie auf entspannenden Bergab-Passagen zu praktizieren. Dies
führt letztlich zum Erfolg bei km16.
Ok, was gibt es zur Strecke generell zu sagen? Sie ist
(erstaunlich genau) 100km lang. Und sie ist ultra-abwechslungsreich. Prärie,
Laubwald, Nadelwald, (wenige) Dörfchen, Wiesen, Felder, lila Fingerhüte, weiße
Fingerhüte, Teiche, Stauseen, Industriezone, Asphalt, Forststraßen (glatte und
grobschottrige, nach links hängende, nach rechts hängende), Wanderwege, Trails, einige km (jetzt aspaltierte) Bahnstrecke
mit (herrlich kühlem) Tunnel, bergauf, bergab, wenig ebene Abschnitte, 2mal
über die Kammlinie des Thüringer Waldes bei ca. 750m NN. Ich hab mich definitiv
nicht gelangweilt in den 11 Stunden – super! Der Rennsteig hat dagegen seine
Längen, in Biel sieht man notgedrungen nicht so viel. Und dann die VPs. Ja, es gehört ja fast zum
guten Ton, diese bzw. die Menschen, die sie eigentlich ausmachen, bei den
meisten Läufen hervorzuheben. Ist ja auch in Ordnung. Manchmal gibt es trotzdem
noch Steigerungen. Wenn man unaufgefordert bei km80+ mit einer Gießkanne
beträufelt wird und überall Melone, Gurke, Tomate und bleifreies Bier (meine lebensrettende
Entdeckung des Tages!) bereitstehen, ja, dann vergebe ich gerne die
Maximalpunktzahl (aber die hab ich wie gesagt schon oft vergeben). Will nur
heißen: PERFEKT! Wie der ganze Lauf. Drop bags, Wertsachenaufbewahrung,
Übernachtung, Soforturkunde - noch dazu auf einem Papier, das der Leistung der Teilnehmer
und der Orga gerecht wird: fett!, Versorgung vor und nach dem Lauf (ok, hier ist
der vegetarische Anteil noch ausbaufähig). Dann die Markierung, bei solch einem
Trip sicher nicht ganz unerheblich: einfach sensationell! Ich habe mir unterwegs immer
vorgestellt, wie das Team die geeigneten
Stellen/Steinplatten/Baumstümpfe/Abflussrinnen ausgesucht, ggf. liebevoll von Staub befreit und dann bepinselt
hat. GPS-Track komplett überflüssig. Ich bin versucht zu sagen, man sollte Didi
dort mal ohne Guide laufen lassen (sorry, ihr wisst, was ich meine).
Details? – Nicht viele, irgendwie ist alles eine Wolke. Obwohl
ich den Grundverlauf der Strecke vorher oft studiert habe, hab ich unterwegs
teilweise die Orientierung (was war schon, was kommt noch) verloren und wunderte mich abschnittsweise über die Position der Sonne. 11 Stunden
sind so lang, man sieht so viel, der Speicher reicht nicht. Da war der mit Lautsprecheranlage bewaffnete Posten bei km21 am Ortsrand von Ruhla, der kurz nach 6 Uhr morgens dem noch schlafenden Talkessel verkündete, welche Größen des Ultra-Laufsports gerade diesen denkwürdigen Ort passierten. Das
stundenlange Jojo-Spiel mit den Fahrradbegleitern, bergauf überholt man sie bei noch überraschend
mässigen Steigungen, sie keuchen oft mehr als man selbst, bergab schießen sie
an dir vorbei und du bist neidisch, weil sie sich etwas ausruhen können. Dennoch
wissen auch sie am Ende des Tages mit Sicherheit, was sie getan haben. Die Kontrollblicke auf die Startnummern der mich überholenden Läufer, wobei es sich beruhigenderweise in der Mehrzahl um eine Stunde später gestartete Staffelteilnehmer handelte, die sich nicht selten sogar dafür entschuldigten, vorbeiziehen zu müssen. Da waren die langen Passagen auf frischem Grobschotter, wo man besser doch auf den Weg guckt, obwohl der im Prinzip einfach ist. Wann werden endlich Schuhe erfunden, die die seitliche Längsneigung der Forststraßen durch keilförmige Sohlenquerschnitte ausgleichen? Ok, man müsste sich im Vorfeld für "linker" oder "rechter" Rand entscheiden, vllt. doch nicht so praktikabel. Ein paar
Bekannte hab ich überholt (das brennt sich halt ein, wenn man damit nicht
rechnet, siehe Elm-Trail). Superschön – halt einfach "schön" - war
die Landschaft und die Ausblicke bei km15, zwischen km32 und 36 (ohne Anspruch auf
Vollständigkeit). Die Bahnstrecke runter nach Floh-Seligenstadt war im wahrsten
Sinne des Wortes die Härte, der Rück-Aufstieg zur Ebertswiese nicht so schlimm
wie erwartet, der Wiesen-Trail hinunter nach Tambach sagenhaft. Warum sind die
Bergab-Abschnitte immer so kurz und steil, dass man sie kaum laufen kann (km79) und sie kaum Erholung oder Zeitgutmachen ermöglichen?
Aber dann kam der Abschnitt ab km85. Der war anders – und
ich werde ihn so schnell nicht vergessen! Da muss ich schon etwas genauer drauf
eingehen. Laut Veranstalter gibt es 17 VPs. Richtig müsste es heißen:
„Mindestens“ 17 VPs. Denn auf einmal stehen teilweise alle 50m auf kleinen
Tischchen vor den Häusern oder Datschen an den Ortsrändern zumindest
Wasserwannen mit Schwamm, oft aber sogar noch diverse Getränke, einmal plätschert
sogar eine kühle Gartendusche. In der Mittagsglut oft unbemannte Stationen der
Anteilnahme und Liebenswürdigkeit, die ich (jetzt 44 Ultras) so noch nicht
erlebt habe. Unbemannt? - Nicht immer. Manchmal lassen es sich die Kinder nicht nehmen,
einem den Wasserbecher entgegenzutragen und ahnen dabei vielleicht gar nicht,
wie dankbar man ihnen dafür ist. Oder das Rentnerpärchen bei km89 (und wohl
ungefähr auch genauso alt), das vor seiner Datsche sitzt und kräftig
applaudiert und natürlich auch noch eine kleine Versorgungsstation aufgebaut
hat. Es treibt mir spontan das Wasser in die Augen und ich bekomme diesen Kloß
im Hals, den ich sonst nur von der Vorab-Visualisierung des Ziel-Durchlaufs
kenne und der mir gefährlicherweise für ca. 300m den Atem nimmt. Hinter der nächsten Kurve hat jemand aus (knochentrockenen) Pferdeäpfeln
das tU-Markierungssymbol am Wegrand nachgebildet. Ich frage mich, ob es ein
wohl Teilnehmer oder ein Spaziergänger war. Dann endet der Thüringer Wald
plötzlich und man steht wieder am Rand der Prärie, die es nun erneut zu queren
gilt und die ihrem Ruf (heiß, flach, staubig) alle Ehre macht. Der Südwind
kommt genau von hinten, und so hat man den Eindruck, die Luft steht. Dann sogar
eine Fata Morgana: In der Ferne am Horizont (an dem erfreulicherweise auch
schon die überdimensionalen blauen Fabrikhallen vor Fröttstädt zu erkennen
sind) taucht im Flimmern ein merkwürdiges Tor auf, das da mitten auf dem Acker steht. Beim Näherkommen wird klar: das ist der berühmte VP 95km, an
dem man – so die Lautsprecherdurchsage – die sieben hübschesten Frauen
Thüringens umarmen darf. Das möchte ich bei aller Wertschätzung in meinem
verklebten Zustand aber keiner zumuten – nur die jüngste (geschätzt 9 Jahre
alt) kommt in den zweifelhaften Genuss. Alles was dann bis zum Ziel noch folgt ist
ein mittlerer Alptraum, den durchlebt zu haben am Ende wieder etwas Positives hat: Kilometerlange Geraden, menschenleer, durch die Industrie-Zone, der Kampf
(?) gegen die tickende Uhr („Wieviel darf ich bei der Reststrecke noch gehen,
um noch unter 11 Stunden zu bleiben?“), was - jetzt kommt erst die
Autobahn-Unterführung? - der nahende, gefühlte Hitzetod, die Komplett-Krämpfe
in den Unterschenkeln, die mich mehrmals zum Stehenbleiben zwingen. Am Ende
siegt die Vernunft, für eine 10:59 nicht noch ein richtig böses Ende zu
riskieren, und so laufe (!) ich in einer ehrlichen 11:01 – natürlich mit
persönlicher Ansage, die durch im Dorf stationierte Vorab-Posten auch dann garantiert wird, wenn man seine Startnummer hinten auf dem Rucksack trägt – ins Ziel. Mein 3. Finish über die 100k, yes! Nach 10 sec. ist mein Chip abgenommen und
ich bekomme einen Auswertungsbon in die Hand gedrückt, der mich überraschenderweise als 4. der (wie in letzter
Zeit so oft zahlenmässig größten) AK50 ausweist. Ich bin überrascht und zufrieden
und nehme die 50m bis zum Zelt in Angriff, ziehe irgendwie die Matte raus und lasse mich in den Schatten fallen. Die nächste halbe Stunde ist geprägt von Versuchen,
die Beinmuskulatur zu entspannen, was aber zu immer neuen, teilweise krassen
Krämpfen führt. Hoffentlich hat mich niemand beobachtet, wie ich mehrfach wie
von der Tarantel gestochen aufspringen muss. Trotzdem: unter dem Strich ein
„gutes finish“, mir geht’s gut, ich habe Durst und Appetit und nach einer
Stunde spielen auch die Gräten beim Gang zur Dusche (warm!) wieder mit.
Es ist einfach nur herrlich, im himmelblauen 1-Stern-Finisher-Shirt auf der Wiese zu liegen, und die
Zieldurchsagen mit den vielen bekannten Namen zu hören. Pünktlich wie ein Maurer
kommt nach 12:20h André an, und erzählt mir nach der Gratulation als erstes,
dass er die passende Übersetzung für „operations“ gefunden habe. Der tU macht
einfach jeden glücklich.
Was geht mir durch den Kopf? Mehr als 100km? Niemals!
Nochmal Rennsteig? Nö. Nochmal Biel? Nö. Nächstes Jahr den 2. Stern holen? Muss
nicht nächstes Jahr sein, aber bestimmt irgendwann. Auf jeden Fall gehört der
tU - nicht allein der Strecke wegen - in meine geheime Liga der besonderen Läufe.
Dort gibt es nur 5 Tabellenplätze. Wenn einer aufsteigt, muss einer absteigen, das ist so einfach wie beim Fußball.
Einmal im Leben solltest du nach Fröttstädt.
Ein toller Bericht von einem tollen Lauf!
AntwortenLöschenJörg