Irgendwann um den 25./26.10.2012 las ich im Internet zufällig zum
ersten Mal von einem sog. „Monster-Sturm“, der sich aus der Karibik auf den Weg
zur US-Nordostküste machen und dort als Tropensturm mit einer arktischen
Front genau über New Jersey / New York zusammenprallen sollte – „mit nie
dagewesenen Folgen“. Höhepunkt zu diesem Zeitpunkt der Voraussage: Do, 1.11.
Also mein Flugtag (und 3 Tage vor dem New York City Marathon, auf den ich mich [noch nie zuvor im big apple gewesen] freute wie ein kleines Kind)!
Prima. Ich verfolge öfters die Wetterentwicklung bzgl.
meiner Läufe und weiss daher, dass man alles über 4 Tage Vorhersage meist
vergessen kann. Ich behielt insofern recht, als der Zeitpunkt des Auftreffens
des Sturms auf die (deichlose) Küste (und damit auf eine Mega-City mit ca. 15 Mio
Einwohnern) auf Montag/Dienstag „vorverlegt“ wurde. Immerhin! Und das kam
dann ja auch wirklich so. Als ich las: „Der U-Bahn-Verkehr in New York wird
eingestellt“ (was es seit der Inbetriebnahme vor ca. 100 Jahren noch nie gab) dämmerte mir langsam, dass dies
alles sehr, sehr anders werden würde als geplant.
John-F.-Kennedy, mein
Zielflughafen, war Montag und Dienstag komplett wg. Überflutung gesperrt, am
Mittwoch gab es vereinzelte erste Flüge, aber es waren Tausende (!!)
ausgefallen. Wenn man weiss, dass ca. 25.000 Teilnehmer des Marathons aus
Übersee kommen, ahnt man, was das bedeutete: Völliges Chaos. Ich hing nur noch
im Internet und las, wie Leute, die für diese Tage gebucht waren (umbuchen ging
ja gar nicht, weil alle Folgetage Do/Fr/Sa natürlich alle Maschinen sowieso bis
auf den letzten Platz mit Läufern voll waren), versuchten, z.B. nach Toronto zu
fliegen und dann per Mfg nach NY. Was allein deswegen aberwitzig ist, weil man
mit einem Auto in NYCity nicht viel anfangen kann (vgl. u.). Parallel zur Frage:
„Komme ich da hin?“ die Frage: "Was ist mit dem Marathon? Ist die Strecke
frei, findet er statt?" Hierzu kam das definitive Go am Donnerstag morgen durch den Veranstalter und den
Bürgermeister per email, 1 Stunde bevor ich in Göttingen in den Zug nach
Frankfurt stieg. Mein Flugstatus war auch bis zuletzt OK, also warum sollte ich
mich nicht auf den Weg machen? Schlimmstenfalls – da grübelte ich schon ein
wenig drüber nach – wäre ich halt 4 Tage ohne Strom in NY. Ich schenkte es mir,
zu recherchieren, ob mein Hotel nun Strom hatte oder nicht – das konnte sich alles
binnen Stunden ändern.
Und so kam es, dass Aschulein nach irrsinnigen
Sicherheitschecks irgendwann im Flieger saß und gen Westen abhob und es begann
das große
Wie kommt man an eine Startnummer für den NYC Marathon, der zwar ca. 50.000 Startplätze bietet, aber ca. dreimal so viele Interessenten hat? Es gibt (für Nicht-US-Bürger) 4 Wege: Den Lostopf (wohl keine realistische Chance), einen Charity-Start (= $2.000 aufwärts ohne Reisekosten), ein Reise-Paket mit Flug und Hotel bei einem offiziellen Travel Partner (= € 2.000 aufwärts) oder einen Garantie-Slot über eine AK-abhängige Quali-Zeit (Anm. 2014: damit ist es inzwischen leider vorbei). Die hatte ich. Und mir dann eine 4-Tage-Reise zusammengeklickert, die noch im 3stelligen Euro-Bereich blieb (das Hotel hatte allerdings nur einen halben Stern).
Als ich nach Fingerabdrücken und Foto den
US-Einreise-Wahnsinn hinter mir hatte, stehe ich in einem Haufen
orientierungsloser, übermüdeter Möchtegernläufer in zugigen Katakomben des
J.F.K.-Flughafens, der es infrastrukturell nun überhaupt nicht mit Frankfurt aufnehmen
kann. Alles im Vergleich sehr veraltet und bescheiden – vor allem: Wegweiser
etc. sind Mangelware. Alle 300 Insassen stürmen auf den einzigen Info-Stand,
der mit 2 Mann besetzt ist und immerhin über Telefon verfügt. "No subway
to Manhattan!" Viele haben einen Gutschein für den Transfer nach Manhattan
(ich nicht), gucken aber trotzdem blöd aus der Wäsche als sie hören: "You’ll
have to wait 3 hours – minimum!“ Wieso das? „No gas!“ – Kein Benzin! Diese
Facette war neu und sozusagen „im Flug“ entstanden: Ohne Strom funktionieren
auch die Pumpen der Tankstellen nicht, und egal ob Taxi oder Bus – ohne Sprit
fahren die auch nicht. Wir hören von stundenlangen Wartezeiten an den
Tankstellen.
Oh je! Bin müde, es ist nach innerer Uhr 23h abends, aufgestanden
bin ich um 5. Ich drifte mit der Masse in Richtung Taxi-Stand. 100m
Warteschlange, es gibt kein Taxi. Entfernung zum Hotel in Manhattan: ca. 25km.
Drüben ein privater Busstand, der den schnellsten Non-stop-Transfer nach
Downtown für 16 $ verspricht – auch hier kein Fahrzeug, aber ein
Fahrschein-Verkäufer. „I don’t know!“ ist die Antwort auf die kaum
ausgesprochene Frage, wann der nächste Bus fährt. Ich kaufe trotzdem ein
Ticket, sicher ist sicher. Ich warte eine Stunde in dieser abgasgeschwängerten,
zugigen, kalten Tiefgarage – nichts passiert. Außer, dass die Warteschlange am
Taxi-Stand gegenüber sukzessive kürzer wird. Irgendwann gibt es keine Schlange
mehr – aber ein Taxi!
Ein Blick zu meinen Nachbarn am Bus-Stop genügt, schon
trotten wir zu viert hinüber. Der Fahrer kann kaum ein Wort Englisch, aber das
ist ja normal hier. Die anderen 3 (Belgien, Frankreich, Schweiz) wollen in ein
Hotel kaum einen Kilometer von meiner Zieladresse entfernt – besser geht es
nicht! Wir vereinbaren 60 $ Festpreis für die Fuhre, was angesichts der
Umstände mehr als fair ist. Wir fahren 1 Meile, dann stehen wir 6spurig im
Stau: Alle normalen, leistungsfähigen Zufahrten nach Manhattan sind Tunnels,
die allesamt in der Flut überschwemmt wurden. Nun muss sich der Verkehr über 3
oder 4 vorsintflutliche Hängebrücken nach Manhattan quälen. „It will take us 3
hours“ prophezeit der pakistanische Fahrer, der ununterbrochen am handy mit
Landsleuten über die Lage palavert und es irgendwie schafft, über dunkle Zuwege
plötzlich auf die Rampe zur Queensborough-Bridge abzubiegen. Noch eine letzte
Polizei-Kontrolle (kein Auto mit weniger als 3 Insassen darf nach Manhattan
hinein!), dann hebt es uns auf die Brücke und haut es mich aus den Schuhen:
Diese Silhouette ist unbeschreiblich! Einerseits wegen dieser unglaublichen Ausdehnung
von irrsinnigen Wolkenkratzern an sich, andererseits wegen dieser unübersehbaren
Licht-Schatten-Grenze mitten durch die Halbinsel: Der gesamte Südteil ist
stromlos, der mittlere und nördliche Teil ist taghell erleuchtet wie immer, es
gibt eine messerscharfe Grenze.
Blick von der 39th nach Süden ... .... und Norden |
„39th street is
border!“ lässt der Fahrer wissen. 39th? Ich soll 43rd wohnen, also 4 Strassen =
ca. 200m im hellen Teil – ich bin gerettet! Ich denke nur: Das ist der
Wahnsinn, über diese Brücke mit diesem Panorama wirst du in 2,5 Tagen laufen –
dafür lohnt sich vieles oder fast alles. Es ist wie damals am Grand Canyon: Man
hat dutzendweise Fotos, Bildbände, Reiseführer etc. gesehen und glaubt zu
wissen, was einen erwartet. Doch man erkennt dann angesichts der realen Szene sofort, dass man sich
ganz gewaltig geirrt hat und nichts die wirkliche Augenscheinnahme ersetzen
kann. Dies musste unbedingt mal wieder aufgefrischt werden, aber ich war
diesmal – da es sich „nur“ um Kultur, nicht Natur handelte – nicht darauf vorbereitet
und umso mehr überwältigte es mich. Im Umkehrschluss bedeutet das für mich: Ich
spare mir auch in Zukunft alle Diavorträge etc. – selbst sehen oder ahnungslos
sterben!
In dieser Stimmung cruisen wir durch Manhattan, die 3rd Ave sechsspurig
nach Süden, in den gespenstischen dunklen Teil, wo nicht einmal die Ampeln
leuchten und auf jeder Kreuzung Polizei patroulliert, durch die 35th St nach
Westen und wieder zurück nach Norden ins Licht in die 42nd St. Ich habe noch
500m zu gehen zu meiner Adresse, und mein Herz schlägt vernehmbar, denn jetzt
naht sie, die Stunde der Wahrheit: Wie wird mein „Hotel“ aussehen – nur
Kakerlaken oder auch Ratten, wie in einigen Erfahrungsberichten im Internet zu
lesen war, von denen man allerdings nie weiss, was Lug und Trug ist. Ich bin im Leben immer am
besten damit gefahren, mich einerseits vorab zu informieren, also sozusagen
den Bereich des Erwartbaren abzustecken, aber letztlich doch zu einem eigenen Urteil
und Bewertung zu kommen (was dann oft nicht unbedingt der Mehrheitsmeinung
entsprach).
So auch diesmal: Ich jubele innerlich fast, als ich sehe,
dass es das Hotel Carter überhaupt als solches gibt, dass es hell erleuchtet
ist, dass die Lobby voller meist junger Leute ist, dass mein Check-In
problemlos läuft. Ich fahre in den 9. von 24 Stockwerken und betrete ein Zimmer
mit eigenem Bad (welches ich defintiv nicht bezahlt habe) und finde bei einem ersten
Check und auch später keine Anzeichen für krabbelnde Mitbewohner. Perfekt!! New
York City – here I am. Die Krönung ist ein riesiger FlatScreen an der Wand, der
in den nächsten Tagen meine Informationsbasis bzgl. der aktuellen Entwicklungen
sein wird. Dazu gibt es in der Lobby noch einige Internet-PCs, an denen man
sich für 5$/30min mit der Welt verbinden kann.
Ich bin so wach wie man nur sein
kann und muss einfach noch mal raus in die Strassen. Die Lage des Hotels ist –
vor allem angesichts der besonderen Umstände ohne subway – nicht zu toppen,
aber das merke ich erst später. Für diesen ersten Abend, der längst gefühlte
tiefe Nacht bzw. innerer früher Morgen ist, begnüge ich mich mit einem
faszinierenden Rundgang über den Times Square und durch den Theatre District. Es
ist eine komplett andere Dimension in Vielem – Verkehr, Menschen, Läden, Licht
- und Berlin oder welche deutsche Stadt auch immer sind Dörfer verglichen mit
diesem Gewirre. Es ist wohl nahe am Maximum dessen was vorstellbar ist als
künstliche Natur, als man-made landscape (obwohl – ich war noch nicht in
Tokio). Ich spüre es wie 1981 in Los Angeles: mir liegt dieser Irrsinn irgendwie. Als
Urlauber.
Der nächste Morgen, Freitag, beginnt für mich sehr früh nach
New Yorker Zeit, so um 4, aber das war ja innerlich 10h,
also bin ich wohl ausgeschlafen. Bezüglich Zeitumstellung hatte ich mir nichts
vorgenommen, dafür waren die 4 Tage eh zu kurz. Sollte ich die Deutschland-Zeit
beibehalten, so würde ich das Rennen halt gefühlt um 15.40 starten, statt 9.40, letztlich ziemlich egal. Die Stadt ist zu
dieser frühen Stunde ungefähr im Modus wie Göttingen an einem Wochentag zur
Mittagszeit – keine prime time, aber von Ruhe oder gar Leere keine Spur.
die Tages-Produktion Müll meines Frühstück-Cafés |
Alle Läden und Cafes haben geöffnet, man
findet allerdings jetzt leicht einen Sitzplatz. Nach einem denkwürdigen
Frühstück mit einer Art Spinat-Pizza, garniert mit Chips, das ganze natürlich
aus Pappbechern und mit Plastikgabel (ich habe die ganze Zeit kein Porzellan
oder Metallbesteck zu Gesicht bekommen), torkle ich zurück ins Hotel und wage
mich in die Badewanne bzw. Dusche (es ist klar, dass ich mich in diese Wanne nicht legen werde). Das
Wasser wird nicht warm. Später erklärt man mir an der Rezeption, dass man
Dusche und Waschbecken gleichzeitig aufdrehen und 10 Minuten laufen lassen
soll. Das passt zur Heizung, die nicht ausgeht, und zur Klimaanlage, die
nachträglich ins Fenster eingesetzt und völlig dilettantisch eingepasst wurde,
mit einem freien Spalt zur Außenwelt von mehreren Millimetern. Scheint hier
alles immer noch nichts zu kosten und egal zu sein – auch wenn es im Winter -30°
und im Sommer +30° sind. Hat Sandy was mit Climate Change zu tun und spielen die
USA darin eine Rolle? Das wird hier noch untersucht.
Ok, was liegt heute an? Ich will wenigstens
mal ein paar Stationen U-Bahn fahren und das kriege ich auch hin, vom Times
Square zum Central Park West. Heute ist das Fahren noch komplett umsonst, weil
eh nur Teilstrecken weniger Linien bedient werden. Man ist eigentlich nach wie
vor auf Manhattan gefangen, bzw. kommt nicht hin von außerhalb. Für die abgesoffenen
UBahn-Strecken unter dem Hudson- und dem East-River gibt es Bus-Ersatz-Dienst
über die paar alten Brücken – lächerlich. Ein UBahn-Zug spuckt mehrere Hundert
Leute aus, so viele Busse kann man gar nicht hinstellen, und die paar, die
fahren, stehen dann im Mega-Stau. Ich werde halt die 2 bis 3 Meilen Fuß-Radius
um meine Basis erkunden – und da liegt alles drin, was für den Lauf wichtig
ist: die Anmeldung im Javits-Messe-Center, die Abfahrt der Busse zum Start an
der Public Library und das Ziel im Central Park. Ich beginne wie gesagt mit
einer Stippvisite zum Central Park, hin subway, zurück zu Fuß. Der Park ist
noch wegen der Sturmfolgen gesperrt. Insofern ballt sich das Läufervolk auf den
Randstrassen. Schon jetzt sehr beeindruckend – es sind hunderte und tausende,
die da meist in Gruppen langjoggen.
Über die 8th Avenue kehre ich zurück zum Hotel und der große
Moment naht: Abholen der Startunterlagen! Das ist bei großen Läufen immer eine
Show für sich, meist kombiniert mit einer Messe für alles (meist Überflüssige)
rund ums Laufen.
Auch hier sprengen die Dimensionen alles
Bekannte, ein unglaublicher Lindwurm von Leuten wird durch eine unglaubliche
Zahl von Helfern in Schlangenlinien kanalisiert. Tausende und Tausende von
Leuten aus aller Welt, Wartezeit allein bis zum Security Check (na klar!) weit
über eine Stunde. Selbst hier wird der Reisepass noch mal gescannt, allerdings
braucht es keine Fingerabdrücke. Die Verkaufsfläche des Hauptsponsors Asics ist
größer als Karstadt in Göttingen, sie haben allein dort ca. 20 Kassen, die
Leute kaufen alles, wo NYC Marathon
drauf steht, es ist der Wahnsinn. An den Ständen der anderen Aussteller wird
man zugeschmissen mit give-aways, und als ich für 10$ eine Packung Chia-Samen
aus Australien kaufe, bekomme ich eine zweite gratis dazu plus ein Marken-Singlet
mit Werbung. Ansonsten futtere ich mich bei den diversen PowerBar- und
Riegel-Ständen durch. So halte ich zwar länger durch als sonst, aber ich will
ja nachmittags noch ein
Ründchen zum Park drehen. Also sitze ich recht bald wieder in einem speziellen MidTown-Hotels-Shuttlebus, der über
teilweise unglaublich kaputte Straßen rumpelt, deren Schlaglöcher häufig dauerhaft-provisorisch
mit Stahlplatten abgedeckt sind, und mich quasi bis vor die Haustür bringt.
Todesmutig laufe ich etwas später direkt über die 8th Ave
zum Columbus Circle, dem „offiziellen“ Parkeingang, wo wir übermorgen bei km
41 kurz vor dem Ziel in den Park einbiegen werden. Es gibt zwar einen farblich
markierten Radweg auf der Strasse, auf dem ich etwas einfacher voran zu kommen
hoffe als auf den völlig überfüllten Gehwegen, aber das bleibt ein Wunschtraum, denn natürlich wird
der primär als Notparkplatz benutzt.
Apropos Parken: Genau gegenüber vom Hotel
ist ein Parkhaus – für die Tagesgebühr kann man fesch essen gehen, der
Monatspreis reicht zu Hause für die Miete einer mittleren Wohung, erst recht,
wenn man die über 18% zusätzliche Park-Steuer addiert hat.
Irgendwann liege ich dann wieder im Hotel vor der Glotze, wo ich nichts als News-Sender schaue, die natürlich nichts als „Sandy“ und "Election Day" bringen.
Und dann – aus heiterem Himmel – sehe ich plötzlich das:
Das ist so das Gefühl, das man nur selten im Leben hat,
dieses „das kann jetzt nicht wahr sein!“ aber man weiss gleichzeitig, dass man
nicht träumt und dass es endgültig ist. Was
für eine Scheiße, entschuldigung, ist
das denn? Es ist 36 Stunden vor dem Start, wir haben die Start-Unterlagen
abgeholt, die Zieltribüne ist aufgebaut, die Strecke ist frei! Was soll das?
Das Sandy-Opfer-Respekt-Argument zieht irgendwie nicht wirklich, auf dem Times
Square und in den Shows vergnügt man sich wie gehabt und andere Sportveranstaltungen
wie Football-Ligen laufen nach dem normalen Plan, wie ich später erfahre. Es
ist eine rein politische Entscheidung, deren Konsequenzen bis heute (20.12.)
unklar sind (es gibt nach wie vor keine Verlautbarungen über den Umgang mit der
Absage was finanzielle oder organisatorische Aspekte [wird der Startplatz nach
2013 übertragen?] angeht). Der Marathon hatte letztlich wohl das „Pech“, dass
der Start einfach zu nah am Zentrum der Schäden auf Staten Island lag und diese
Bilder (Läufer vs. Sturmopfer) wohl nicht zu vermitteln gewesen wären. Verstehe
ich ja alles auch und natürlich ist dieser Lauf nicht lebenswichtig – aber das
hätte man schon am Dienstag so wissen und entscheiden und ich zu Hause
bleiben können. Es riecht ein bisschen nach „lasst die Leute mal kommen,
damit wenigstens die Hotels noch ihren Umsatz machen“. Nun ja, als ich es
begriffen habe, gehe ich in die Lobby um die Neuigkeit (die natürlich auch in
Europa schon längst keine mehr ist) über facebook zu verbreiten.
Aber ziemlich bald wird mir klar, dass es keinen Grund zum
Trübsal blasen gibt: Ich bin immer noch in New York City! – und was jetzt Samstag
und Sonntag hier passieren wird, das wird wahrscheinlich einmalig bleiben und live erlebte
Geschichte! Keine 2 Stunden später gibt es die ersten facebook-Gruppen, die zu
einem „run-anyway-Marathon“ am Sonntag morgen im Central Park aufrufen.
Stündlich gibt es hunderte und tausende neue follower, am Sonntag gibt es dann bereits
natürlich auch – unvermeidlich – die passend bedruckten T-Shirts.
Schon am Samstag Vormittag, als der Central Park erstmals
nach dem Sturm wieder geöffnet ist, kommt mehr oder weniger das gesamte
Läuferfeld auf einer Pilgerfahrt zum und durch den Park zusammen. Ich gehe mit
gemischten Gefühlen die letzte Meile bis zum Zieltor ab, ich weiss nicht, ob
ich lachen oder weinen soll. Sehr schade – aber trotzdem unvergesslich.
Am Sonntag morgen, es ist ein strahlend
blauer Himmel bei 2°-3°, werden diese Eindrücke weiter gesteigert, als sich
unübersehbare Mengen an Läufern sammeln und den run-anyway-Marathon in beiden Lauf-Richtungen im und gegen den
Uhrzeigersinn in Angriff nehmen. In
den ersten Jahren des NYC Marathon verlief die Strecke noch auf 4 Runden durch
den Central Park, was nahe legt, dass eine Runde etwas mehr als 10km sind. Ich
schätze, dass 15-20.000 Leute laufen. Die meisten von ihnen wohl auch über die
volle Distanz, natürlich alles ohne Verpflegung, Zeitnahme etc.
Ich weiss
nicht, welche Länderflaggen ich unterwegs nicht gesehen habe, es waren schier
unglaubliche Mengen an Europäern und Südamerikanern auf den Beinen. Ein echtes
Volksfest in vollkommen fröhlicher und friedlicher Atmosphäre. Sogar eine
Medaille (zum Selbstausschneiden) gibt es! Solch einen Lauf unter vergleichbaren Vorzeichen werde ich wohl
nicht noch einmal erleben. The Great
Concert In Central Park! Ich entschliesse mich, wenn es irgendwie geht, 2013
zurück zu kommen und auch den normalen NYC Marathon zu absolvieren.
Der letzte Abend bricht an und mein Fokus richtet sich mehr
und mehr auf das Thema Rückreise. Die Haupthürde wird der Transfer zum
Flughafen werden. Nach wie vor keine Subways dorthin und unkalkulierbare
Busabfahr- und reisezeiten. Glücklicherweise ist der Abflug erst 19.40, also hab ich sozusagen den
ganzen Tag zur Verfügung.
Hohes Gebäude - hohe Empfangshalle |
Ein Highlight nehme ich deshalb am Montag morgen noch mit –
denn es liegt ja auch wieder in Fuß-Entfernung – das Empire State Building,
„Schlaflos in Seattle“ lässt grüßen (vielleicht treffe ich da oben jemanden?). Allein für diese „Besteigung“ sollte man sich einen ganzen
Tag nehmen, denn in den Hallen auf dem Weg zu den Fahrstühlen gibt es
beeindruckende Ausstellungen über die Bauphasen oder auch nachträgliche
Klimaschutz-Sanierungen. Aber dafür bin ich doch ein wenig zu unruhig. Mit der
ersten Fuhre geht es um 8 Uhr
hinauf in den 86. Stock – für 28 $ in ca. 2min. Man kann auch 54 zahlen, wenn
man tagsüber die dann hunderte Meter langen Warteschlangen umgehen will und instant access bucht.
Oben ist es lausig kalt, und wieder mal sehr
sehr umwerfend: Zum ersten Mal sehe ich ganz Manhattan, die Freiheits-Statue
auf ihrer kleinen Insel, und die Verrazano-Narrows-Bridge zwischen Long Island
und Staten Island, über die die erste Meile geführt hätte. Ich sehe wirklich
die ganze Marathon-Strecke von hier oben: Staten Island, Brooklyn, Queens,
Bronx, Manhattan – die 5 „borrows“ von New York. Das ganze aus einem gänzlich
anderen Stockwerk, obwohl die umliegenden Gebäude nun auch nicht gerade flach
sind.
Blick auf Lower Manhattan, oben links die Verrazano Bridge, Mitte rechts Liberty Island mit der Freiheits-Statue |
Ich merke jedenfalls, dass ich mittlerweile ganz dringend sehr viel weniger Menschen und sehr viel mehr Bäume um mich herum brauche. Göttinger Wald – I'll be back! Aber vor die Annäherung an die Heimat hat der liebe Gott noch den East River gesetzt, und die Situation an der Queensborough-Bridge ist unverändert: Stillstand! Der Fahrer springt nach einiger Zeit im Stau auf, macht eine Durchsage, dass sich keiner beunruhigen soll, weil er jetzt die Strecke verlässt, aber wir würden ja alle zu unseren Fliegern wollen und deshalb müsse er alternative routes nehmen. Naja, über die Brücke muss er trotzdem – aber er schafft es tatsächlich, nicht von Süden, sondern von Norden zu kommen und da bewegt sich die Schlange immerhin ab und zu etwas.
Ich komme mit reichlich Zeitpuffer am JFK an, drehe noch ein
paar Runden mit dem AirTrain zwischen den Terminals und erhalte so einen
Eindruck über das Ausmass dieses Flughafens. Der Rest ist unaufregend: Viele
Pizzas, Kaffees, Brötchen bis zum pünktlichen Abflug, wieder ein sehr
gediegenes veganes Menu an Bord , dass ich ohne Aufpreis auf Basis meiner bei
der Buchung gewählten Option bekomme und das neidvolle Blicke der
Chicken-Fraktion hervorruft. Dann hat mich Deutschland wieder.
Was für ein
Trip!
Kann es einen größeren Kontrast geben als den New York City
Marathon und die Solling-Querung von Karlshafen nach Dassel? 47.000 Teilnehmer
vs. 50, Beton & Asphalt pur vs. Wald und sonst nichts. 5 Tage auseinander.
Der Mensch schafft auch dies. Merkwürdigerweise.
Es gäbe weiteres zu berichten, z.B. über Sanna's ersten
Gesamtsieg in einem Marathon in Arolsen am 1.12. oder über die 3,5 Stunden, nach denen dieses Jahr
der Berlin-Marathon 2013 mit 40.000 Anmeldungen ausgebucht war. Ganz zu
schweigen von den 10min nach Mitternacht am 2.12., in denen sich 180 Leute für
die Brocken Challenge 2013 angemeldet haben.
Aber wenn dieses Werk bei Euch noch rechtzeitig zu Weihnachten ankommen soll,
dann muss jetzt einfach mal Schluss sein.
P.S.
3 Stunden nach der Fertigstellung dieses Textes kam am Abend des 20.12. eine email vom Veranstalter aus New York über die Regelungen bzgl. des Ausfalls des Marathons. Ich kann es für mich so gestalten, dass ich das Startgeld 2012 zurückbekomme, trotzdem aber für 2013 einen garantierten Startplatz über die Zeit (<3:06 für M50) erhalte.
3 Stunden nach der Fertigstellung dieses Textes kam am Abend des 20.12. eine email vom Veranstalter aus New York über die Regelungen bzgl. des Ausfalls des Marathons. Ich kann es für mich so gestalten, dass ich das Startgeld 2012 zurückbekomme, trotzdem aber für 2013 einen garantierten Startplatz über die Zeit (<3:06 für M50) erhalte.
Die Reise war 2 Stunden später gebucht.
P.S.S.
Zu früh gefreut:
Die Regeln für 2013 wurden noch mehrmals geändert. Letztlich gab es keine Quali-Zeiten mehr, sondern nur einen kleineren Lostopf für diejenigen, die die Zeiten erfüllten. Bei der Ziehung Ende Mai 2013 ging ich leer aus.
Zu früh gefreut:
Die Regeln für 2013 wurden noch mehrmals geändert. Letztlich gab es keine Quali-Zeiten mehr, sondern nur einen kleineren Lostopf für diejenigen, die die Zeiten erfüllten. Bei der Ziehung Ende Mai 2013 ging ich leer aus.
Für 2014 hat es geklappt.
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