Montag, 1. Juni 2015

Bis zum Stillstand der Augen - UltraTrail Lamer Winkel

Was wäre, wenn sie jetzt plötzlich ihren Dienst versagen würden? Verstehen könnte ich es. Seit Stunden diese ununterbrochene Strapaze. Da muss doch irgendwann mal Schluss sein!? Durch die beschlagene, betropfte, (jaja, zu schwache auch) Brille nach einer Ecke Ausschau halten, wo ein Schuh (US 14) wenigstens halb hinpasst und sich keine nasse Wurzelrippe versteckt, über die man seitlich abglitscht und kein bemooster oder bealgter Block wartet, sondern einfach: Boden! Und wenn sie diese Stelle (vermeintlich) ausgemacht haben - dann ist das andere Bein längst auf dem Weg nach vorne und kreischt: "Wohin? - Wohin? Gebt Antwort, ihr la(h)men Funzeln!"

ja, wir sind in Bayern
Mein Gott, tat das weh, diesmal weniger in den Beinen als in den Augen. Muskelkater, definitiv!


Dass das heute nicht mein Tag ist, merke ich schon bei km4. Vielleicht hätte ich doch besser unten am See in Arrach bei den Blasmusikanten bleiben sollen, die um 7 schon bei ihrem ersten (?) Hellen waren.

Sanna zieht locker bergauf an mir vorbei. Mir doch egal. Lauf doch! (Vielleicht sehen wir uns dann ja doch 2 km vor dem Ziel wieder, wie letzte Woche in Bad Harzburg? Schön wär's!) Jan auch irgendwo vorne - gut so. Lauft alle weg, dann hab ich hier meine Ruhe. Von wegen - ständig rückt jemand von hinten ran und drängelt. Jaja, gleich, wenn es irgendwo geht, darfst du vorbei! Mein Gott war das herrlich - allein auf den Trails im Hunsrück. Genau, die waren sowieso viel besser - und Buchenwald (und nicht diese elenden Fichten, die dir mit ihren seitlich rausragenden Aststummeln die Regenjacke aufschlitzen - danke!!). "Flowig" soll das hier sein? Da musst du wohl 23 und sehr, sehr unbekümmert sein, damit du da drüberfliegst. Bin ich beides nicht mehr. Hier heute in der Senkrechten durchkommen und mittelwürdig ins Ziel, das ist alles, worum es für mich noch gehen kann. Na klar, stimmt, die letzten 14 Tage waren etwas voll mit km und hm, es sollte ja auch alles nur Test und Training sein.

Lass das "T" von Letzterem weg - und that's what it is - raining. Die Jacke ist dicht, der Sturm auf dem über 1100m hohen, teilweise gratartigen Rücken, dem wir bis zum Kulminationspunkt am Großen Arber (1456m) über gut 15k folgen, kommt immerhin von hinten. Ein kleinlautes Friedensangebot, oder was? Die Wetterleute gehören alle gefeuert, hier war purer Sonnenschein angesagt (kommt dann auch, am Tag danach, wo wir vor der Heimfahrt vom Kleinen Osser aus noch mal die gesamte Route bewundern und sehen, was wir am Lauftag im Nebel nicht mal ahnen konnten [obwohl: man hätte dann jeweils schon stehen bleiben, die Äuglein neu justieren und ihnen sagen müssen: Guckt mal - da!, vgl. o.]).

von rechts nach links ging es auf der Horizont-Linie entlang, in der Mitte Gr. und Kl. Arber


Ich kriege das hin - das mit der Motivation. Ich stelle mir nicht die Frage: "Was soll das? Was mache ich hier? Warum regnet es immer bei Bergläufen?" Ich weiss, dass es hier keinen, bzw. nur einen (viel zu späten) Ausstieg gibt. Die anderen müssen auch durch. Das hilft. Und die paar guten Geister, die an den unwirtlichsten Punkten im Nirwana stehen und ihre Kuhglocken schwenken. Und Nolle, die mir gefühlte 5mal irgendwie von irgendwelchen Gipfeln strahlend lächelnd entgegenrennt und "Brocken Challenge!!" brüllt. Irgendwelche Irren cranken beim downhill vom Arber an einer romantischen Ski-Hütte den punk und das ist so irreal, dass ich fast flenne. Es gibt noch freaks.

Hoch zum Zwercheck. Ja, immer schön die Direttissima, klar. Ist ja auch besser so, dann ist es schneller vorbei. Oben Bergwacht im Sturm und Regen. Und ein Plateau. Bestimmt tolle Aussicht (sonst). Flach = laufen!? Denkste. Geht nicht. Zu irre verblockt. Runter (logisch, genau so direkt wie rauf) und nochmal hoch zum Osser. - Ey - Moment mal! Mich hat schon recht lange keiner mehr überholt!? Aber ich habe 5 eingesammelt auf den einzigen 4km eine von diesen bei Todesstrafe verbotenen, elenden, glatten, unverwurzelten Forststrassen entlang. Pace 4:39 nach Marathon und gut +2.000hm. Ja, laufen geht (immer), aber nicht "trailen". Scheisse, macht aber trotzdem Spaß.

Der Typ am Gipfel mit der Filmkamera hat mich voll erwischt, ich dachte es wär ein Tourist. Wenn das gesendet wird, wie ich da hochkrieche zum Osser, muss ich meine Karriere vorzeitig beenden. "Jetzt geht es nur noch bergab!" - "Auf Wegen?" - "Auf bayrischen ...!" - Nach dem Großen kommt der Kleine Osser, und damit ist das "nur noch bergab" wie erwartet hinfällig. Ich baller (nur noch um 100% getoppt von den mich jetzt überholenden Spitzenläufern des 13km-Bergsprints) den rauhen Steig runter und überhole und überhole. Mann, pass bloß auf jetzt. Mach keinen Mist!  Dann  der "Holy Trail" - holy shit - sind die hier völlig durchgeknallt? Nein, ich muss nicht draufpinkeln (ist hier nämlich aufgrund des Sonder-Status verboten). Ich will nur noch nach Hause!!

Ich hab die Zielgerade auf dem Marktplatz ganz für mich allein! Geil. Unerwartet genial. Also ist das wirklich alles mein Applaus!? 50m roter Teppich. Ich trudele aus. Statt Medaille gibt es einen Schnaps zum Umhängen.
Und Sanna, die schon seit 20min auf mich wartet. Aber sie hatte heute ja auch Schuhe an.

das Podium der W40


P.S.
doch noch ein paar technische Anmerkungen:

- die Brooks Pure Grit III bekommen diesmal nur eine DreiMinus. Nasshaftkraft nicht wirklich überzeugend (obwohl: irgendwo gibt es wohl physikalische Grenzen). Die Füße sind nach der Tortur aber absolut intakt und blasen- und druckstellenfrei, was auch nicht unwichtig ist. Und auch ohne Gamaschen ist nichts von oben reingefallen.
- die Ultimate Direction P.B. Vest war wieder absolut tadellos, da vermisse ich nichts (und Wasser läuft offenbar auch gut ab)
- das gilt (im übertragenden Sinn) auch für die Pearl Izumi Ultra Barrier. Dicht und mollig warm, Kapuze geht nicht besser. Und schön grün.
- Stöcke blieben zu Hause. Insgesamt richtige Entscheidung. Manchmal hätte ich sie mir kurz gewünscht. Aber ca. 30% hätte man sie auf jeden Fall nutzlos rumgeschleppt. Und auf den anderen 70% hätten mir die zusätzlichen Augen gefehlt, die Dinger sinnbringend im Gelände zu positionieren.

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