* diesen schönen Titel habe ich hier gefunden
2. Anstaltsmarathon der JVA Rosdorf 12. Juli 2014
Lange Zeit (sofern diese Wortwahl in Bezug auf die Dauer
meiner vergleichsweise doch noch recht überschaubaren Marathon-Karriere, die
sich momentan im 8. Jahr bewegt, überhaupt angemessen bzw. zulässig ist) war
ein Mehr-Runden-Kurs beim Marathon für mich ein striktes Tabu. Und das
logischerweise nicht aus bereits gemachten Negativ-Erfahrungen, sondern eben
einfach aus Prinzip. Und so was ist ja immer schlecht.
Erstmals gebrochen habe ich das Tabu beim Zeiler Waldmarathon 2010,
der das zweimalige Durchlaufen einer Halbmarathonschleife vorsieht. Ich habe es
ohne Komplikationen überlebt, und erinnere mich noch dunkel daran, dass ich
auch schon damals einen gewissen Reiz darin empfand, den Verlauf, die Eindrücke
und Gefühle dieser zwei Varianten des vermeintlich Selben zu vergleichen und zu versuchen,
die faktischen und gefühlten Unterschiede irgendwie zu erklären.
Gesteigert wurde dieser Wagemut dann beim Sondershausener
Untertage-Marathon, der 2011 über 8 Runden führte. Ich stellte fest, dass jede
einzelne Runde „ihr“ eigenes Thema und damit neben den Kilometern, die sie
lieferte, auch ihre eigene Bedeutung hatte. … 1. Kennenlernen der Strecke (es
gab ja z.B. mangels GPS-Einsetzbarkeit vorab kein Höhenprofil) 2. Überprüfen,
ob man sich alles einigermaßen korrekt gemerkt hatte 3. Irrtümer korrigieren usw.
Die nächste substanzielle Weiterentwicklung liegt dann in
der Absolvierung eines Marathons mit einer Rundenlänge von ca. 1km, so dass ca.
40 Runden erforderlich werden. Wie geht denn so was? Gar nicht so schwer, und
interessanter als vermutet! Vor allem dann, wenn das Setting „natürlich“ ist,
die kurze Rundenlänge sich quasi notwendigerweise von allein ergibt – wie in
einem Gefängnis, wo bereits der Umfang der Außenmauern die theoretisch maximal
möglich Rundenlänge definiert (und nicht die Böswilligkeit eines Veranstalters
o.Ä.). Bei Knast-Marathons in Oldenburg letzten Herbst und jetzt direkt vor der
Haustür in Rosdorf bekam ich die Gelegenheit, es auszuprobieren. Dass ich nach
Oldenburg überhaupt ein zweites Mal am Start stand, lag dabei nicht nur in der kurzen
Anreise begründet.
Die sich ergebenden Vorteile eines Multi-Rundenlaufs liegen teilweise auf der
Hand, teilweise erschließen sie sich aber auch erst durch’s tatsächliche Laufen: Es
gibt jeden Kilometer einen VP, wodurch sich das Mitführen von Trinkfläschchen
oder Geltüten erübrigt. Man kann ggf. jeden Kilometer das Equipment anpassen
(Jacke an/aus, Schuhe wechseln, Mütze, Handschuhe). Man kann jede Runde auf’s
Klo. Es gibt (ziemlich bald) keine Überraschungen mehr, was die Streckenführung
angeht (Untergrund, Steigungen). Es gibt quasi unbegrenzt viele Foto-Punkte für
die Fotographen. Man bleibt (fast) über die Gesamtdauer der Veranstaltung mit
allen Teilnehmern zusammen: Entweder man überrundet oder man wird überrundet,
auf jeden Fall sollte man am Ende wirklich alle Teilnehmer mehrfach gesehen
haben.
Aber sonst – ist das nicht dann doch irgendwann langweilig? Ich tendiere
hier stark zu: ganz im Gegenteil! Es gibt ungeahnt viele Aspekte des
Rundenlaufens, auf die man vorab vielleicht nicht kommt, die sich dann aber
unterwegs ganz von selbst in die Wahrnehmung schieben: Ist es Zufall, dass ich
in jeder Runde diesen Gullydeckel mit dem linken Fuß erwische? Die Pfütze in
dieser einen Kurve, die wird ja offenbar von Runde zu Runde kleiner, oh, jetzt
ist sie ganz weg! Der Trampelpfad im Gras neben der gemulchten Finn-Bahn, der
war doch am Anfang noch nicht da? Kann ich es wagen, in der Linkskurve noch
enger um den Pfosten des Tores herumzulaufen, ohne zu riskieren, mir meine
Schulter anzuhauen? Oh, jetzt hat die Besetzung des Wachpostens am zweiten
VW-Bus gewechselt! Wo befindet sich mein "Konkurrent" (lat. =‚zusammenlaufen‘) diesmal, wenn ich an dem
einen bestimmten Punkt bin, von dem aus man die Hälfte der Runde überblicken
kann? (Man, läuft der gleichmässig!). Du kommst eben einfach an jedem Streckenpunkt nicht wie sonst nur einmal, sondern x-Mal vorbei, kannst beim ersten Mal nach rechts (die Mauer), beim zweiten Mal nach links (die Zellenhäuser), beim dritten Mal nach oben (die Stacheldrahtrollen) schauen, und dann wieder von vorn, denn die wandernden Schatten verändern alles ständig.
Es kann tatsächlich passieren, dass man über diese epochalen
Beobachtungen alles vergisst und plötzlich ist man in Runde 29 und es sind nur
noch 9 to go. Das macht es wirklich einfach! Allerdings – ist der Gedanke „nur
noch x Runden“ erst einmal gedacht, wird es doch noch gewohnt hart, das Marathon-Ziel
zu erreichen. Es wäre ja so einfach und bequem, einfach aufzuhören, ohne
aufwändigen Rücktransport bei einem DNF!
Hier hilft der besondere Hintergrund des Laufes. Es geht ja
nicht primär darum, dass irgendwelche Lauf-Verrückten eine weitere Möglichkeit
bekommen, einen "neuen" Marathon auf ihre Liste setzen zu können. Es
geht vor allem darum, dass wenige, sozusagen handverlesene Häftlinge sich nach
einer gewissen Trainingsphase einer Wettkampfsituation stellen können, bei der
sie nicht wie sonst auf ihre noch kürzere Sportplatz-Trainingsrunde und mit
den immer gleichen Gesichtern beschränkt bleiben, sondern in einem größeren
Teilnehmerfeld durch sonst verschlossene Zwischentore unterwegs sein können und
prüfen oder erfahren können, wie weit ihre Leistungs- und Leidensfähigkeit
schon gereift ist. Vor diesem Hintergrund ist es Ehrensache, dass ich durchhalte
und durchlaufe, obwohl es vermeintlich um nichts geht. Tatsächlich geht es hier
für Einige um mehr als irgendwo sonst.
Wer im Kreis läuft, kann weiterkommen. Mit Sicherheit gilt das im Sonderfall eines Knast-Marathons für alle Beteiligten, unabhängig davon, auf welcher Seite der Mauer sie gerade leben. Es hat mich gefreut, dass Einige, die ich in Oldenburg kennengelernt hatte, jetzt wieder dabei waren. Teilweise haben sie inzwischen "die Seiten" gewechselt (und das ausschließlich in der anzustrebenden Richtung).
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