Damit sie besser im Kreis laufen können.
Wie soll das einer verstehen: Beim legendären "Ossiloop" sind die Leute keineswegs auf Runden, sondern auf A-nach-B-Strecken unterwegs. "Loop" (sprich: [lo:p]) heisst also auf Platt wohl doch nur "Lauf". Für mich als nunmehr bekennenden FOOL (Freund der Ostfriesischen Oster-Laufserie) bezeichnet "loopen" (sprich: [lu:pn]) aber spätestens ab jetzt das Kreiseln auf Rundkursen (und auch eine Wendepunkt-Strecke ist ja eigentlich nichts anderes als eine etwas stärker zusammengequetschte Rundstrecke).
Die Ostfriesische Oster-Laufserie (OOLS) der Ultrafriesen e.V. ist das, was sie verspricht: Eine Laufserie zu Ostern in Ostfriesland. Also 3 Faktoren, die die Teilnahme zu etwas Besonderem machen:
1. Laufserien sind gut, um Kilometer zu sammeln und für in diesem Jahr noch folgende Laufserien zu trainieren. Laufserien ohne Höhenmeter auf Asphalt sind noch besser, wenn man sich dieses Jahr im Wesentlichen auf Veranstaltungen mit dieser Charakteristik konzentrieren will. Und Laufserien auf reichlich unspektakulären Runden von 5,3km (versöhnende Ausnahme: die idyllischen 2km am Berumerfehnkanal entlang bei #3) stärken bestimmt auch das Mentale (oder heißt es: die Mentalität?)
2. Es herrscht offenbar Uneinigkeit in der Bevölkerung, wieviele "Ostertage" es denn nun gäbe. Die empirische Mehrheit der Befragten antwortet mit "4", eher bibelfeste Kandidaten mit "2". Die Ultrafriesen gehören zur Mehrheit und somit werden 4 (verschiedene) Marathons von Karfreitag bis Ostermontag ausgeschrieben (und die u.U. aufkeimende Frage, ob sich sowas gehört, gar nicht erst gestellt). Ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal (ansonsten müsste man lt. Marathon-Kalender zu diesem Termin nach Kapstadt fahren)!
3. Ostfriesland hat "außerhalb" natürlich seinen Ruf weg - mindestens über die Ostfriesen-Witze: Warum steigen die Ostfriesen im März durchs Fenster nach draußen?
Weil Feiertage vor der Tür stehen.
Dass das wirklich ein merkwürdiges (oder besser: bemerkenswertes?) Völkchen ist, wird im Laufe der Veranstaltung öfters deutlich. Die (Ultra)Friesen sind (Lauf-)Puristen. Wahrscheinlich ist das auch der simple Grund dafür, dass sie beim Aurich-Marathon nicht in den für dortige Verhältnisse recht ausgedehnten, vogelträllernden, nach drei Tagen durch die leicht gülledurchwaberten Wiesen- und Feldfluren bereits gewisse Sehnsüchte auslösenden Vorfrühlingswald direkt neben dem Start-Ziel-Bereich an der sic! Waldschule wechseln. Wohl viel zu wenig Wind da - und auch sonst: viel zu untypisch (oder steht da einfach alles immer unter Wasser?).
Wir rennen - der Reihe nach - #1 in Neuenburg (Treffpunkt: Torfschuppen irgendwo außerhalb des Dorfes), #2 Asel (Treffpunkt zu Hause beim Veranstalter, also eine echte Adresse), #3 im Süden von Norden (ja, wirklich! Treffpunkt: irgendwo im Wald [nein, nur der Treffpunkt!] an der II. Moorriege, alles klar?) und #4 in Aurich (sehr einfach: an der Waldschule). Nachdem man die ganzen Lokalitäten gegoogelt und sich in einem Übersichtsplan markiert hat, wird das für nicht aus Ostfriesland anreisende Teilnehmer erforderliche Basislager in Aurich aufgeschlagen, das einigermaßen in der Mitte liegt und leicht über eine (schnurgerade) Bundesstraße erreichbar ist.
Wir finden eine sehr preiswerte, sehr ordentliche und sehr geräumige Ferienwohnung, die "Nordsee-Oase". Man hört hier zwar noch nicht das Rauschen der See, aber dafür findet man die Unterkunft auch ohne Navi immer sehr leicht wieder (was für uns ja wichtig ist): Direkt neben dem markanten Sendemast! Und den sieht man eigentlich von jedem Veranstaltungsort aus (ist ja flach hier). Nach Neuenburg sind es 40km, nach Asel 30km, und zum Süden von Norden (gegenüber der 4. oder 5. Score-Tankstelle, wenn man aus Aurich kommt), 25km. Also jeweils kürzer, als man dann laufen muss.
Start zu #1 am Torfschuppen bei Neuenburg (Foto:Ultrafriesen) |
Alle Läufe sind gleich (bis auf kleine Unterschiede). Es sind zunächst mal alles ausgewachsene Marathons. Darauf legen die Ultrafriesen (UF) viel Wert - keine halben Sachen ! - und so wird in Aurich zu Beginn noch eine Ehrenrunde um den Parkplatz gedreht, um auf die vollen 42.2km zu kommen. Bei den anderen 3 Strecken wird das Soll deutlich übererfüllt, die erste ist mit reichlich 43km die längste. Alle Läufe bestehen aus übersichtlich strukturierten 5.3km-Runden ohne Ecken und Kanten (bzw. bei #2 aus einer 5.3km-Wendepunktstrecke), die es 8 (bzw. 4)mal zu durchleiden gilt. Immer gegen den Uhrzeigersinn. Nie rechts abbiegen! Loopen in Reinform eben. Das Teilnehmerfeld ist jeden Tag zu 80% identisch (die meisten wollen in die Serienwertung) und umfasst auch etliche der jeden Tag wechselnden, lokalen Organisatoren. Ansonsten gibt es natürlich auch Tagesläufer (Urlaub machen wir hier ja alle, die einen mehr, die anderen noch meer). Alle Läufe beginnen um 9 Uhr (egal ob Winter- oder Sommerzeit; die Richtung der Uhrenverstellung wird schon vor dem Start des 1. Laufes in einem basisdemokratischen Prozess unter den Teilnehmern festgelegt). Am Ende jeden Tages steht ein Zahl unter 20m als summarische Höhendifferenz auf deiner Uhr. Passt! Da kann Berlin einpacken. Urkunden gibt es 20sec nach Zieleinlauf frisch vom Chef unterschrieben in die Hand gedrückt. Beim letzten Lauf sogar Medaillen. Dafür beim ersten keine Urkunden, aber selbstgemachten Eierlikör.
Worauf die Ultrafriesen nicht so viel Wert legen, ist Schnickschnack. Schnickschnack wie ein Klo z.B., ein Dach über dem Kopf zum Umziehen, ein regenfester Unterstand für die Veranstaltungs-Leitung (Sonnenschirmchen muss reichen), Startnummern, Vorab-Überweisungen von Startgeldern, etc. pp. - Nein, ich übertreibe. Ein Klo gab es zweimal (für Damen sogar 3mal), kein Dach über dem (nassen) Kopf nur einmal, und keine Startnummern nur zweimal. Bei ca. 30 Teilnehmern pro Veranstaltung (natürlich würden normal 300 starten wollen, aber das wollen die UF offenbar nicht) durchaus verschmerzbar (und weniger fehleranfällig, als 4stellige Zahlen zuzuordnen). Das mit den Klogängen in freier ostfriesischer Natur kann sich allerdings schnell schwierig (und gefährlich) gestalten: Flaches Land, weite Sicht, rechts und links vom Weg nur Wassergräben (dahinter: Moor). - Anderer Müll wird gar nicht erst gemacht (mit Namen beschriftete Porzellanbecher stehen bereit!), und insofern ist auch klar, dass die Verpflegungs-Pausen ganz ruhig im kompletten Stillstand vollzogen werden müssen und damit zu pace-killenden Stopps werden. Bei der Auswahl des Futter-Sortiments lassen sich die UF nicht lumpen - alles da, wirklich alles. Hinterher gibt es (immer) Erdinger, und (teilweise) Sekt (auf einen persönlichen 100. Marathon) oder leckere Hühnersuppe ("die essen hier normal auch die Vegetarier"). Die 10 Euro pro Lauf sind da gut und gerne angelegt. Bei der Siegerehrung nach dem 4. Lauf überrascht der UF-Vorstand sogar noch mit einem 400-Euro-Scheck, der im Rahmen der Serie "erwirtschaftet" wurde, und der an ein Hospiz in Jever übergeben wird. Alle Achtung!
Zum sportlichen Teil (über das Wetter reden wir also nicht):
Die erste Runde ist immer zum Kennenlernen. Du merkst dir den freilaufenden Hofhund. Locker lässt man den VP noch links liegen. Auf der 2. Runde wunderst du dich, dass die lange Gerade wirklich soo lang war. Der Hofhund will jetzt mit dir Stöckchen spielen. Etwas weiter zählst du die Silageblöcke, die der Bauer noch reinzufahren hat, und dann die neuen Eichenpfähle, die sie an der Koppel gegenüber schon gesetzt haben (ist heute nicht Feiertag?). Wieviel schafft er wohl pro Runde? Werden sie damit vor dir fertig sein? Spätestens nach der 3. Runde geht es das erste Mal an die Boxen. Wie schön wäre es, wenn man jetzt schon 5 hinter sich und nicht noch vor sich hätte ... Cola und Salzstangen, und Salatgurke. Nach der Hälfte sind es (jedes Mal) erschreckenderweise immer noch 4 Runden!! Der Bauer ist fertig mit seiner Silage, und du bist es eigentlich auch - aber eben leider noch nicht wirklich. Die 5. und 6. Runde sind immer die schwierigsten, mental betrachtet. Wer hat all die Kröten plattgetrampelt? Nee, die sind schon älter. Warum gibt es hier mitten im Moor ein kolossales Motodrom? Wahrscheinlich nur, damit wir wissen, wo wir nach links vom Kanal weg abbiegen müssen. Nächstes Mal gieß ich mir gleich einen vollen Becher ein und trinke nur die Hälfte, das spart bei der übernächsten Runde Zeit! - Du merkst, dass das Blaue auf der Straße gar keine Marathon-Linie ist, sondern die Markierungen für's Straßenboßeln. Irgendein Trecker hat Lehmbrocken auf der Strecke verteilt und du musst die Füße nochmal richtig hochheben. Hoffentlich fallen keine Tiere über das unbemannte Depot im Bushäuschen am Wendepunkt her! Läuft es sich besser auf nach links oder nach rechts hängendem Weg? Oder auf dem Trampelpfad daneben? Nach der 7. Runde kommt der (gefühlte) Endspurt, aber jetzt bloß nicht überziehen, morgen ist auch noch ein Tag! Beim Zieleinlauf brüllst Du "Zeit!" oder "fertig!", damit jemand merkt, dass du zum 8. Mal da bist und deine Zeit aufgeschrieben wird. So geht das, Tag für Tag. Ein überschaubares Leben. Eigentlich nichts als ein klassischer Halbtags-Job: 4 Stunden auf Maloche, 20 Stunden rumlümmeln. Dreimal im Regen, zweimal mit viel Wind (für einen Nicht-Ostfriesen). Immer in den selben Klamotten, immer um die 8°. Und für mich fast immer im selben Tempo (lauf-intern und -übergreifend) - was die unerwartet positive persönliche Erfahrung ist.
Das waren jedenfalls Ostertage, an die ich mich - im Gegensatz zu etlichen Vor-Ausgaben - bestimmt noch gerne das eine oder andere Mal leicht grinsend erinnern werde. Allen Beteiligten herzlichen Dank für ihren Einsatz!
Warum sind in Ostfriesland die Menschen so glücklich?
Weil ihnen die Arbeit noch Spass macht.
(wohl eher kein Witz)
P.S.
Die Ostfriesen-Witze stammen aus einem kleinen Bändchen, das (wohl an Stelle der Bibel) in der Nachttisch-Schublade in der Ferienwohnung lag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen